Der Enttäuschende Schritt

Unsere Reise in Peru neigt sich dem Ende entgegen. „Endlich!“, wollte ich schon schreiben. Doch dann hielt ich mich zurück und dachte, „Wie klingt das denn, Du alter Pessimist! Schreib doch mal was Schönes. Was sollen denn die Leute denken?!?“. Daraufhin artete die Unterhaltung zwischen mir und meinem Verstand in ein halbstündiges Streitgespräch aus, welches ich Dir an dieser Stelle jedoch ersparen möchte.
Die Quintessenz das Ganzen war, dass ich meinem Verstand an den Schwur erinnerte, den Kata und ich uns zu Beginn der Reise gegeben hatten. Wir schworen uns, die Dinge immer so darzustellen, wie wir sie empfunden haben. Selbstredend müssen diese Erfahrungen, eingefärbt durch unsere Emotionen, etwas subjektiv sein. Doch das ist auch gut so. Schließlich heißt das Thema des Blogs nicht „Die objektiven Betrachtungen zweier gefühlloser Roboter“, sondern es heißt „Barfuß um die Welt“. Und auf nackten Sohlen nimmt man die Welt nun einmal etwas anders war. Da gibt es die wundervollen Momente, wenn sich warmer Sand um Deine Füße schmiegt oder klares Gebirgswasser über sie hinweg sprudelt. Doch ebenfalls auch jene Momente, in denen sich der Große Lachende da oben denkt, wie lustig es doch wäre, es inmitten einer mehrstündigen Barfußwanderung auf 4500m Höhe kräftig hageln zu lassen. Wahnsinnig witzig!

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Foto: Kataleya von Rosenberg | Bearbeitung: https://pkfotografie.com

So ist es eben, wenn man sich dem Neuen und Unbekannten aussetzt. Da gibt es nicht nur Honig. Lebertran muss auch mal reichen. Das Gemeine an der Sache ist nur, dass sich beides so verdammt ähnlich sieht. Und Du weißt nie, was Du bekommst, bevor Du Dich nicht endlich traust zu kosten.

Wo ich gerade mit Kata spazierend unsere bisherigen Wochen, mit all den Ereignissen Revue passieren lasse, da wird uns durchaus bewusst, dass wir sie eher lebertranig als honiglich empfunden haben. Der vorherige Beitrag „Der Fehltritt“ belegt es ziemlich eindeutig. Eine geraume Zeit haben wir uns deswegen auch ziemlich schlecht gefühlt. Sechs Wochen Honig wären definitiv schöner gewesen. Hingegen kommen einem sechs Wochen Lebertran wie eine Zeitverschwendung vor. Man fragt sich, was man falsch macht. Was andere anders machen. Was man ändern muss. Und dann überlegt man sich, ob man die Dinge tatsächlich so schreiben sollte, wie man sie fühlt, weil man weiß, dass die Erfahrungen dadurch subjektiv werden und der ein oder andere viel lieber aufheiternde Urlaubsberichte lesen würde. Oder weil es Land und Leute in einem falschen Bild darstellen könnte.

Doch weißt Du was… wie erwähnt, haben wir uns geschworen die Dinge unseren Gefühlen entsprechend darzustellen. Ehrlich, unverblümt und schamlos. Und wenn wir uns ein Wort passend zu den letzten Wochen aussuchen müssten, dann wäre es „Enttäuschung“! Das Ganze ist ziemlich schwer auszusprechen, da es die gemachten Erfahrungen in den Dreck zu ziehen scheint. Doch der Schein trügt ja bekanntlich öfter als man denkt. Aber dazu kommen wir später.
Einmal abgesehen von den zahlreichen selbstverschuldeten Fehltritten, gab es viele andere Situationen, die uns enttäuschten. Die drei größten Punkte wollen wir im Folgenden mit Euch teilen.

 

Das Geld-Handy-Trauerfressen-Paradox

Vor unserer Ankunft in Peru hätten Kata und ich niemals mit so einem gewaltigen Einfluss der westlichen Kultur gerechnet. Wären die Menschen nicht etwas kleiner und kräftiger gebaut und hätten sie ihre dunklere Haut und ihre runderen Gesichter nicht, man würde keinen Unterschied zwischen jenen Teilen Perus, die wir bereisten und unseren westlichen Großstädten erkennen. Die Masse trägt der westlichen Mode entsprechende Kleidung, rennt mit dem zweitwichtigsten Gott ″Handy″ dem erstwichtigsten Gott ″Geld″ hinterher und zieht dabei mindestens genauso lange Trauerfressen wie wir, wenn wir hektisch durch die Massen steuern, um von A nach B zu kommen. In diesem Punkt unterscheidet sich wahrscheinlich keine größere Stadt von der anderen, egal in welchem Teil der Welt sie gelegen ist.

Ist es nicht interessant zu beobachten, dass die Fressen der Leute immer länger zu werden scheinen, je mehr sie besitzen?!? So als wäre ihr gesamtes Hab und Gut rechts und links an ihren Mundwinkeln befestigt!

Geh doch mal durch eine Menschenmenge in einer größeren Stadt und lach mal. Nicht so ein winziges, zögerliches und peinlich berührtes Grinsen, was Du aufsetzt, wenn Du mal wieder einen meiner schlechten Witze liest. Nein! Ein dickes fettes Lächeln. Ohne Grund! Einfach nur grinsen und gehen! In vielen Teilen der Welt nennt man das „Lebensfreude“. In Großstädten nennt man es „verrückt“! Mach das Ganze dann noch barfuß und schon verstehen die Leute die Welt nicht mehr.


Denn grundloses Lachen und gegründetes Gehen
scheint wohl niemand zu verstehen.
Könnt’s an dem liegen, was Besitztümer wiegen
dass der Mund es nicht schafft sich gen Himmel zu biegen?
Oder ist’s das Gewicht der städtischen Pflicht
sich dem Schmollen der Massen brav anzupassen?
(Jonathan von Rosenberg)



Das Mensch-Müll-Natur-Paradox

Der nächste extrem enttäuschende Punkt, sind die in Hülle und Fülle vorkommenden menschlichen Hinterlassenschaften. Dabei wäre es erfreulich berichten zu können, dass es sich ausschließlich um körpereigene, biologisch-abbaubare Hinterlassenschaften handelt. Doch dem ist leider nicht so. Es handelt sich um Müll. Überall! Durch Reisen in einige afrikanische „Krisenländer“, war ich schon einiges auf dem Gebiet der Komplettvermüllung gewohnt. Doch das wir sehr ähnliche Bilder auch hier in Südamerika antreffen würden, hat uns zutiefst enttäuscht. Dabei stellt sich heraus, dass die beliebtesten Lagerorte des Abfalls die Straßenränder, Flüsse und Strände sind. Macht ja auch Sinn! Wer braucht schon sauberes Wasser… in der Wüste?!? Es gibt ja schließlich genug Cola zu kaufen. Und da man in der Regel nicht dazu tendiert, sich Bilder von versifften Stränden ins Fotoalbum zu kleben, haben wir nur sehr wenige Anschauungsbeispiele zur Verfügung. Doch diese sollten ausreichen, um das Gesagte zumindest etwas verbildlichen zu können.

Hier haben wir zum Beispiel einen hübschen, aus frischem Quellwasser stammenden Fluss. Dieses Wasser fließt durch das gesamte Dorf und könnte wenigstens eine wundervolle Lebensgrundlage für Pflanzen und Tiere sein. Oder halt auch nicht!

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Foto: Kataleya von Rosenberg | Bearbeitung: https://pkfotografie.com

Denn was macht man, wenn man nicht weiß, wohin mit seinem Plastikeimer und Abflussrohr? Natürlich ab in den Fluss! Ist doch ganz logisch! Man kann es auf dem Bild nur erahnen, aber dieser Fluss hat schlimmer gestunken, als die steifste Wandersocke. Aber was soll´s… das lebensspendende Nass gibt es ja, dank Nestlé, hübsch in Flaschen abgefüllt zu kaufen. Ist ja auch viel einfacher, dass Wasser aus dem Einkaufsladen nach Hause zu schleppen, als es vor der eigenen Haustüre abzuschöpfen.

Ein weiteres Beispiel hätten wir hier. Ohhhhhhh… was für ein hübscher Sonnenuntergang…

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Foto: Kataleya von Rosenberg | Bearbeitung: https://pkfotografie.com


…. Vorm Müllhaufen!

 

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Foto: Kataleya von Rosenberg | Bearbeitung: https://pkfotografie.com


Und weil es so schön ist, noch ein drittes Beispiel. Traumhaftes Hafenbild in Paracas…

 

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Foto: Kataleya von Rosenberg


… inklusive Dreckstrand!

 

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Foto: Kataleya von Rosenberg | Bearbeitung: https://pkfotografie.com

Leider wirkt dieses Bild nicht einmal halb so gut, wie es könnte, da es im naiven Versuch gemacht wurde, diesen Strandabschnitt halbwegs schön aussehen zu lassen. Und da sich, wie eingangs bereits erwähnt, unsere Affinität zu versifften Strandfotos in Grenzen hält, haben wir davon abgesehen Detailfotos vom Müll zu knipsen. Hätten wir gewusst, dass es einmal Thema eines Beitrages werden würde, hätten wir die zahllosen Plastikflaschen mit Sicherheit besser in Szene gesetzt. Zwischen 10 Tonnen Algen (für die sicher niemand etwas kann) versteckten sich nämlich ca. eine Tonne Plastikmüll. Doch dieser Strandabschnitt war noch verhältnismäßig gepflegt, da er sich direkt an der Touristenpromenade befand. Und da die Stadt dort das große Geld riecht, wendet sie die gleiche flotte Taktik an, wie Millionen Frauen (und mittlerweile auch ″Männer″) weltweit, wenn sie sich Samstagabend amüsieren gehen. Da wird dann so viel Spachtelmasse rund ums Schmollmündchen geschmiert…

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Foto: Kataleya von Rosenberg

… das diese armen Mädchen und Jüngchen den ganzen Abend in der furchtbaren Angst leben müssen, sie könnten sich am teuer erstandenen Drink verschlucken und der rettende Schlag auf den Rücken würde den mühsam aufgetragenen Gesichtsputz zum Abbröckeln bringen.
Auf die gleiche Weise versucht auch die Stadt, die Geld im Tourismus wittert, spezielle Teile künstlich aufzuhübschen, in der Hoffnung, die Kurzzeittouristen mögen sich wie Fliegen um sie scharen. Doch genauso, wie die meisten Partymäuschen und Partyhäschen vergessen, dass jeder noch so aufwendig aufgetragene Oberflächenputz irgendwann bröckeln muss und es deswegen ebenso wichtig ist, neben dem Gesichtchen auch das Seelchen zu schmücken. Leider scheint es sich aber so zu verhalten, dass es das vernachlässigte Seelchen dem Schmollmund gleich tun will. Deswegen schmollt es einfach mit.
Im gleichen Maße vergessen auch viele Touristenstädte, dass neben der oberflächlichen Wandlung einzelner Stadtteile, auch auf die Wandlung der Stadtseele geachtet werden sollte. Tut man das nicht, verschiebt sich der gesamte Unrat nur in die umliegenden Gebiete. Und dann ergeht es vielen Touristen so, wie es Kata und mir ergangen ist. Im Interesse das gesamte Gebiet zu erkunden, wird man, geblendet von anfänglicher Schönheit, bitter enttäuscht, wenn man einen weiter entfernten Strandabschnitt erreicht.
Ich ärgere mich heute noch zu Tode, dass wir davon keine Fotos gemacht haben. Denn hier tauschten Algen und Müll plötzlich die Rollen. Am erschütterndsten war für uns jedoch ein ausgelaufener Motorenölkanister. Ach Menschlein, wenn Du zwei Dinge beherrschst wie kein anderes Wesen, dann sind es:

  1. Jene Dinge mit Deinem breitgesessenen Arsch einzureißen, welche die Natur Dir mühsam errichtet hat.
  2. Und ständig jene Hand zu beißen, die Dich füttert.

Irgendwie hatte dieser Anblick unsere Toleranzgrenze bezüglich „Andere Länder, andere Sitten“ weit überschritten. Und auch wenn wir wissen, dass man ähnliche Szenarien mit Sicherheit auch mitten in Deutschland finden würde, so war es deshalb so enttäuschend für uns, weil wir die Erwartung hatten, entgegen der westlichen naturignoranten Kultur, ein naturliebendes Volk vorzufinden. Wie naiv wir doch waren. Doch so ist es halt mit Erwartungen. Sie lassen einen warten.


Das Nestlé-Lebensmittel-Paradox

Wer Kata und mich kennt, der weiß, dass es bei vielen Sachen mit uns spaßen lässt. Die Leute können ihre farbenfrohe traditionelle Kleidung gegen westlichen Einheitsmüll eintauschen. Sie können ihre Liebe zur Natur und den Tieren für Geld und Handy aufgeben. Und sie können ihr herzliches Lächeln für lange städtische Trauerfressen opfern. Das alles macht uns höchstens traurig. Sie können sogar ihre Straßenränder und Wüsten mit Plastikmüll bepflanzen, tote Tierkadaver zum Verrotten in ihre Flüsse schmeißen oder Ölkanister an jenem Strand entleeren, an dem sie fleißig für ihren Lebensunterhalt fischen. All das macht uns wütend, aber es gibt eine Sache, die unser Toleranzfass schneller zum Überlaufen bringt, als alles andere.

Schlechter Kaffee!

Da befinden wir uns schon in einem Land, welches für seinen Hochlandkaffee berühmt ist und es ist fast ein Ding der Unmöglichkeit, einheimischen Kaffee zu finden. Das Einzige, was man immer antrifft, selbst in den kleinsten und abgelegensten Läden, ist dieses Nestlé-Gesöff. Das Schlimmste ist nicht, dass es sich hierbei um ein Instant-Kaffee-Produkt handelt, welches die Bezeichnung „Kaffee” kaum verdient hat. Das wahre Problem liegt darin, dass es von Nestlé kommt. Einem Unternehmen, welches sich zum einem größte Mühe gibt, jegliches Leben aus seinem ″Lebensmitteln″ zu entfernen und zum anderen fleißig jede verfügbare Trinkwasserquelle unserer Erde aufkauft, privatisiert und jenes Wasser in Plastikflaschen abgefüllt, an Ort und Stelle teuer verkauft. Es ist schon enttäuschend ironisch, dass wir Menschen lieber teures Plastewasser trinken, als unsere eigenen Flüsse sauber zu halten. Wenn man also, im naiven Wunsch etwas Einheimisches zu kaufen, ein kleinen Laden in einem noch viel kleineren Dorf betritt, muss man auf die Enttäuschung gefasst sein, dass einem Kaffee und Süßigkeiten von Nestlé, Chips von Lay`s, Fertigsuppen von Maggi und die Bestseller Cola, Fanta und Sprite anlachen.

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Foto: Kataleya von Rosenberg

Wer da nicht enttäuscht ist, dem ist auch nicht mehr zu helfen.

Positiv kann man jedoch hinzufügen, dass wenigstens die Tomaten nicht aus Spanien oder den Niederlanden eingeflogen werden. Generell sind Obst und Gemüse weitestgehend einheimisch, frisch und unglaublich lecker. Die Bananen, Mangos und Kartoffeln strotzen vor Geschmack und machen damit jedes Maggi-Kartoffel-Püree überflüssig.

Interessanterweise wird uns erst im Resümieren die grundlegendste aller Enttäuschungen bewusst.

Alles ist genauso wie zu Hause!


Wo Handy und Geld regieren die Welt
Und hektisch stampfen die Leute.
Dort jeder selbst wählt, dass das Morgen ihn quält
Weil alle vergessen das Heute.

Wo Respekt für Natur, nur sorgt für Aufruhr
Und trampelnd marschieren die Massen.
Dort entsteht die Tortur, der plastischen Spur
Weil alle Ihr´n Müll hinterlassen.

Wo Nahrung vergeht und in Tüten rumsteht
Und ungestüm stolpern die Wesen.
Wird des Körpers Gebet vom Winde verweht
Weil keiner ihm hilft beim Genesen.
(Jonathan von Rosenberg)


Wie bereits erwähnt, sind es die Er-Wartungen, die einen meist am längsten warten lassen. Und da wir eine ganz andere Kultur er-warteten, als wir sie von zu Hause aus kannten, würden wir noch bis heute in der endlosen Schlange der Er-Wartenden stehen, gäbe es nicht das wundervolle Geschenk der Enttäuschung…..


 

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Foto: Kataleya von Rosenberg

Nachdem wir im vorherigen Teil dieses Beitrags ausführlich über all unser Enttäuschtsein gesprochen haben, wird es höchste Zeit die positive Seite und ihre Lektionen zu betrachten. Auf geht’s…..

 

Lektion 1

Es verblüfft mich immer wieder, welch hilfreiche Schlüssel unsere eigene Sprache zur Lösung mancher Probleme bereithält. Das Wort Enttäuschung ist so ein Schlüssel, wenn wir uns seiner wahren Bedeutung bewusst werden.
Die folgenden Zeilen sind inspiriert von einem Vortrag der genialen Vera F. Birkenbihl, welchen ich vor langer Zeit hörte und der mir glücklicherweise über all die Jahre im Gedächtnis geblieben ist. Die Gedanken bezüglich der Enttäuschung, die Vera Birkenbihl verlauten ließ, eilten uns jetzt zu Hilfe, indem sie uns unterstützten, unsere Enttäuschung von einer ganz anderen Seite zu betrachten.

Um die wahre Bedeutung des Wortes Enttäuschung zu erkennen, müssen wir nur einen kleinen Bindestrich in das Wort einfügen. Dann wird daraus die Ent-Täuschung.
Also das „Ende einer Täuschung“!


Ent-Täuschung ist das Ende Deiner Täuschung!


Die meisten von uns tendieren dazu, Ent-Täuschung als etwas Negatives zu betrachten. Uns missfällt es, ent-täuscht zu sein. Aber warum? Gibt es doch kein größeres Geschenk! Die ganze Zeit haben wir in einer Täuschung, einer Illusion gelebt. Wir haben etwas für real gehalten, was so nie existierte. Plötzlich werden wir aus unserem Traum herausgerissen und zurück in die Realität geschliffen. Doch anstatt dankbar zu sein, die Wirklichkeit sehen zu dürfen, werden wir wütend oder traurig. Besonders dann, wenn unsere Er-Wartungen untertroffen werden, möchten wir doch lieber in der süßen Scheinwelt unseres Traumes verweilen.
Werden unsere Er-Wartungen jedoch übertroffen, haben wir plötzlich kein Problem mehr mit dem Ent-Täuscht-Sein. Ganz im Gegenteil, wir freuen uns darüber und nennen es „Glück haben“! Dabei ist es dem Leben scheiß egal, ob es unsere Er-Wartungen über- oder untertrifft. Alles was es will, ist es uns in die Realität zu holen, unabhängig davon, ob es uns gefällt oder nicht. In jeder Sekunde tut das Leben sein Bestes, uns zu ent-täuschen. Und wir sollten dankbar dafür sein! Das ist also die erste Lektion, die uns der Enttäuschende Schritt lehrte.


Ent-Täuschungen sind das Ende Deiner Täuschung! Sei Dankbar dafür!


Lektion 2

Abgesehen davon, dass uns Ent-Täuschung zurück in die Realität holt, hält sie noch ein zweites Geschenk bereit. Wie der Fehltritt hilft auch sie uns zu wachsen. Ent-Täuschung ist unsere Lehrerin.

In unserem New-Age-Zeitalter werden wir mittlerweile von allen Seiten mit Büchern, Filmen und Lehrgängen überschwemmt, welche uns ständig die Notwendigkeit positiver Gedanken predigen. Wo eine positive und glückliche Einstellung zum Leben durchaus angebracht ist und den meisten Menschen von jedem Arzt und Apotheker dringend angeraten werden sollte, dort darf man dennoch nicht vergessen, dass jedes Ding seinen Platz im Leben hat. Auch Ent-Täuschung, Unzufriedenheit, Trauer oder Wut. Diese Gefühle mit Gewalt wegzugrinsen und mit Mantras, Räucherstäbchen oder Yogaposen aus uns heraus pressen zu wollen, ist mit Sicherheit nicht der richtige Weg, denn auch sie wollen uns wichtige Lektionen lehren. Doch wir wollen es nicht sehen. Wir wollen es nicht fühlen. Und schon gar nicht wollen wir in einem Blog darüber lesen.
Viele erhoffen sich von einem ″Reiseblog″, er möge sie aus der oft ent-täuschenden Tristheit des eigenen Alltags für einige Minuten in eine farbenfrohere Welt entführen. Eine Welt in der einem, von Palmen bewedelt, die Brathähnchen bzw. Bratmeerschweinchen (wir sind ja schließlich in Peru) direkt in den Mund schweben.
Doch erstens, für alle die es noch nicht gemerkt haben, dass hier ist kein Reiseblog. Und zweitens sieht die Realität, in die Kata und ich hinein gerissen wurden, einfach anders aus. Woanders ist es nicht zwangsläufig besser als zu Hause. Woanders ist es einfach… anders! Mal unheimlich schön, mal unheimlich hässlich. Mal bunt, mal grau. Mal warm, mal kalt. Reisen kann unheimlich viel Freiheit bedeuten. Man kann den ganzen Tag machen, was man will. Außer es gießt in Strömen. Dann sitzt man im Zelt. Oder es wütet ein Sandsturm. Dann sitzt man im Zelt. Oder die Sonne brasselt in der Wüste mit 40°C auf einen herab. Dann sitzt man vorm Zelt. Oder abends werden es minus 5°C. Dann sitzt man wieder im Zelt. Aber ein Ortswechsel ist ja kein Problem. Man kann ja gehen, wohin man will. Außer man hat knapp 50kg Gepäck. Dann geht man nicht, wohin man will. Denn da überlegt man sich jeden Schritt zweimal. Oder ein Busticket kostet 50 Euro (was einem Wochenbudget entspricht) und über Stunden hält kein Auto an, um einen mitzunehmen. Dann geht man auch nicht, wohin man will. Oder man hat Hunger und der scheiß Kocher will einfach nicht anspringen. Dann isst man nicht mal, was man will. Oder man möchte Geld abheben, doch der einzige Automat im Dorf ist außer Betrieb. Dann geht man nicht, wohin man will und isst nicht, was man will. Oder man möchte sein Zelt aufbauen, doch der Boden ist so knochenhart, dass kein Erdnagel sich hineinschlagen lässt. Dann kann man nicht so einfach hingehen, wo man will UND nicht bleiben wo man will. Bei 5°C Außentemperatur! Oder man zerreißt sich den Daunenschlafsack. Bei 5°C Außentemperatur! Dann schläft man auch nicht, wann man will. Dann fuchtelt man wütend in der Luft herum und näht das Ding die nächste Stunde.

All das sind sehr ent-täuschende Dinge, wenn man so naiv ist wie wir und denkt, man könnte immer machen, was man will. Ganz im Gegenteil. Unsere Erfahrung ist, dass es beim Reisen sehr selten so läuft, wie man es er-wartet hat. Doch da wir zum ersten Mal auf diese Art reisen, hatten wir damit überhaupt nicht gerechnet. Das heißt nicht, dass wir keine wundervollen Momente in Peru hatten. Auch hier haben wir Natur von ihrer schönen Seite erlebt, liebenswerte Menschen kennengelernt und herzhaft gelacht. Doch im Großen und Ganzen, wenn wir eine Haupterfahrung herauspicken müssten, dann wäre es Ent-Täuschung. Und statt sich diesem Gefühl zu verschließen und alles auf Zwang kunterbunt zu malen, damit es schöner klingt, sollte man sich fragen, was es einem lehren kann.
Uns hat die Ent-Täuschung gelehrt, unsere Er-Wartungen bezüglich anderer Länder, anderer Kulturen und anderer Menschen deutlich herunter zu schrauben. Und das war sehr wichtig! Denn nur so hat dieses Land, samt seiner Menschen, auch eine faire Chance. Und einen Punkt wollen wir noch ganz deutlich herausstellen. Unsere Ent-Täuschung beruhte letztendlich einzig und alleine darauf, dass fast alles ganz genauso war wie zu Hause. Der Dreck, das ungesunde Essen, die schlecht gelaunten Menschen, die Techniksucht, alles wie Zuhause. In Deutschland mag es sich in Grenzen halten, dass wir Unmengen Plastikmüll am Straßenrand verteilen oder tote Tiere zum Verrotten in die Flüsse schmeißen. Doch dafür wimmelt es in ihnen von Pestiziden, Chemikalien und Medikamenten. Auch nicht besser! Es ist nicht die Schuld der Menschen oder des Landes, dass wir ent-täuscht wurden, sondern unsere eigene. Wir er-warteten alles rosarot und kunterbunt und vergaßen, dass jeder Stock immer zwei Enden haben muss und das auch die ″schlechte″ Seite ihre gute Seite hat.

Schaut man sich z.B. die Bilder des ersten Teils an, da werden einem diese Seiten deutlich vor Augen geführt.

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Foto: Kataleya von Rosenberg | Bearbeitung: https://pkfotografie.com

Auf der einen Seite ein schöner Sonnenuntergang, auf der anderen Seite ein stinkender Müllhaufen. Man könnte den Müllhaufen jetzt ignorieren oder 10 Meter zur Seite laufen, doch das lässt ihn deswegen nicht verschwinden. Der gammelt trotzdem weiter vor sich hin. Ausschließlich die positiven Seiten des Lebens zu sehen, führt halt in vielen Fällen noch lange nicht dazu, dass die negativen Seiten verschwinden.
Wir alle kennen das berühmte Beispiel des halbvollen bzw. halbleeren Glases. Und ständig wird uns suggeriert, dass es wichtig wäre das Glas halbvoll zu sehen. Sonst ist man ja ein böser Miesepeter. Dabei sollte man erstmal grundlegend klären, welches Gesöff sich überhaupt im Glas befindet. Vielleicht bin ich ja heilfroh, dass es schon halbleer ist. Und danach sollte man bedenken, dass das Gefühl eines halbleeren Glases einen sehr wichtigen Impuls im Trinkenden auslöst. Beizeiten für Nachschub zu sorgen! Beim halbleeren Glas bemerke ich ein sich anbahnendes Problem und kann rechtzeitig beginnen, nach einer Lösung zu suchen. Ist mein Glas jedoch ständig halbvoll, gibt es keinen Grund auf Wassersuche zu gehen, denn alles ist ja in Ordnung. Erst wenn ich den letzten Tropfen herausgequetscht habe, dämmert mir langsam meine missliche Lage. Doch dann ist es schon zu spät. Mein Glas ist leer und es gibt keinen Nachschub mehr.

Nehmen wir zum Beispiel einen Profiraucher, der bemerkt, dass ihm sein großer Zeh langsam anfängt wegzugammeln. Dieser optimistische Zeitgenosse sieht natürlich die positive Seite des Lebens und sagt:

„Ich habe ja noch vier andere Zehen!“

und qualmt fleißig weiter. Sind diese dann auch hübsch blauschwarz verfärbt, dann lächelt er und sagt sich:

„Sei nicht ent-täuscht mein Lieber, du hast doch noch ein zweites Bein. Also sieh es positiv! Was soll denn ein Fisch von Dir denken?!? Der hat gar kein Bein, doch Du bald wenigstens noch eins.“.

Der kettenrauchende Pessimist hingegen entdeckt an seinem Zehennagel eine stecknadelkopfgroße Verfärbung, ärgert sich halb zu Tode, warum immer ihm die schlimmsten Sachen im Leben widerfahren müssen und bekommt daraufhin den dringenden Impuls zum Arzt zu rennen. Der erklärt ihm eindringlich, dass es sich um die ersten Anzeichen einer Durchblutungsstörung handelt, die im allerschlimmsten Falle zum Verlust des gesamten Beines führen könnten. Der Pessimist sieht sein Glas natürlich schon halb leer und schreit den Arzt an:

„Waaaaaas! Ein Bein verlieren?!? Ich armer Tropf hab doch schon nur zwei! Da hat´s doch jeder Hund besser als ich!“

Und bei dem ent-täuschenden Gedanken, es niemals so gut haben zu können wie ein Vierbeiner, fühlt er das Bedürfnis wenigstens nicht auf das Niveau eines Flamingos abzusinken und den ganzen Tag dumm auf nur einem Bein herumzustehen. Dadurch bekommt er den Impuls sein Leben grundlegend zu ändern, um wenigstens die restlichen, unversehrten gebliebenen 99,99% des Beines vorm Verfall zu retten.

Lektion verstanden?

Nein?

Nicht schlimm!

Ich habe sie mein ganzes Leben lang nicht kapiert und erst nach den letzten sechs Wochen ist es mir ein wenig klarer geworden. Hier also noch mal für Dich und mich zum hinter die Ohren schreiben:

Wenn die Frage nach dem halbvollen oder halbleeren Glas aufkommt, frag Dich als erstes:
Ist es mit dem gefüllt, was ich gerne trinken möchte? Sollte sich dann dennoch einmal das Gefühl der Ent-Täuschung einstellen, weil Dir das Glas eher halbleer erscheint, dann ignoriere es nicht! Nimm es an. Begutachte es. Beschäftige Dich damit. Und ganz wichtig… ÄNDERE ES!
Ent-täuschung kann eine wichtige Lehrerin sein, da sie Dich in die Realität zurückholt und Dir Deine eigenen Mängel und die Mängel der Welt aufzeigt. Damit Du sie behebst! Stück für Stück. Ohne die Impulse unserer Fehltritte und Enttäuschenden Schritte gäbe es keinen Fortschritt, kein Wachstum und keine Entwicklung. Doch dafür muss man sich seinen Ent-Täuschungen stellen. Und dazu gehört Mut. Du musst den Mut aufbringen Dir Dein Ent-Täuscht-Sein einzugestehen. Du musst den Mut aufbringen, zuallererst bei Dir und vorallem in Dir nach den Gründen Deiner Ent-Täuschung zu suchen. Du musst den Mut aufbringen der Welt um Dich herum von Deinen Ent-Täuschungen zu erzählen, denn nicht immer liegt es ausschließlich an Dir. Und zu guter Letzt musst Du den Mut aufbringen, in Deinem Leben etwas zu ändern. Bewusst ent-Täuscht zu sein, zu lernen und sich zu ändern, erfordert Mut. Doch nur so stellen wir sicher, dass unser Glas nicht nur immer gefüllt ist, sondern auch mit dem gefüllt ist, was wir trinken möchten. So zumindest lehrte die Ent-Täuschung Kata und mich. Mehr als alle Müllhaufen Perus wurden mir meine eigenen inneren Müllhaufen bewusst. Jede einzelne Trauerfresse, die ich sah, wurde zum Mahnmal meiner eigenen Trübsals-Fratze. Und klarer denn je wurden uns hier, im weit entfernten Peru, die ganzen Mängel unserer eigenen westlichen Kultur! Nach diesen ent-täuschenden Erfahrungen werden wir es uns zweimal überlegen, wie wir unsere heimische Umwelt behandeln, wie wir Anhaltern mit schweren Rucksäcken begegnen, wie wir uns gegenüber Menschen verhalten, die sich mit unserer Sprache schwer tun und wie viel Zeit wir an die Götter „Geld“ und „Handy“ verschwenden wollen. All das sind wichtige Einsichten, die wir ohne das Gefühl der Ent-Täuschung nicht gelernt hätten. Alles hat nun einmal seinen Platz im Leben. Das ist also die zweite Lektion…


Ent-Täuschung ist Deine Lehrerin!
Habe den Mut ihr zuzuhören und von ihr zu lernen!


Lektion 3

Generell hat jede Ent-Täuschung das Potential ein sehr guter Witz zu sein. Warum? Weil ein Witz nichts anderes als eine Ent-Täuschung ist. Wenn wir einen Witz erzählt bekommen, er-warten wir einen bestimmten Ausgang der Geschichte. Trifft dieser Ausgang nicht wie er-wartet ein, dann werden wir ent-täuscht und lachen. Bei einem Witz nennt man das dann die „Pointe“. Passiert uns so eine Pointe jedoch im eigenem Leben, nennen wir es plötzlich „Ent-Täuschung“ und das Lachen bleibt uns im Halse stecken. Merk-würdig, oder?
Deswegen ist der Gedanke nahe liegend, dass es eine Schwelle zu geben scheint, bis zu der etwas als witzig eingestuft wird und nach der alles ent-täuschend wird. Für jeden ist diese Lachschwelle anders gelegen. Das ist der Grund, warum niemals alle Menschen über den gleichen Witz lachen können. Deshalb gibt es sowohl jene Leute, für welche die ganze Woche versaut ist, nur weil ihnen eine Fliege auf den kleinen Zeh geschissen hat, als auch jene erstaunlichen Individuen, welche trotz größter Missgeschicke und Tragödien den Spaß am Leben und ihr Lachen nie verlieren. Vielleicht sollten wir alle etwas von jenen Menschen lernen, die begriffen haben Ent-Täuschungen als das zu sehen, was sie sind. Ein Witz den uns das Leben erzählt!


Ent-Täuschungen sind die Witze, die Dir das Leben erzählt!


Wenn wir nicht lachen können, dann deswegen, weil unsere eigene Lachschwelle viel zu tief hängt. Nachdem ich mich selbst, in quälendem Eigenstudium, die letzten sechs Wochen als Versuchskaninchen nutzte, wurde mir eines schlagartig klar: Am wenigsten können immer jene Menschen über die Witze des Lebens lachen, welche sich selbst und ihr eigenes klitzekleines Leben für am wichtigsten halten. So als drehe sich alles nur um sie. Und dabei tragen sie ihr Näschen so hoch droben in der Luft, dass sie selbst die kleinste Schwelle übersehen, stolpern, drüberklatschen und plötzlich auf der Seite der Ent-Täuschung landen. Dann ist das Geheul groß. Ich persönlich habe durch die letzten sechs Wochen gelernt, dass ich zu jener stolzen Gruppe gehöre. Deswegen bin ich äußerst dankbar für die Ent-Täuschung.

Jetzt fühlen wir uns auch nicht mehr schlecht das Kind beim Namen zu nennen und zu sagen, dass der Großteil der Erfahrungen der letzten Wochen ent-täuschend für uns war. Denn wir wissen, dass unsere falschen Er-Wartungen schuld gewesen sind. Diese Er-Wartungen waren so hoch, dass das Leben viele Witze machen musste, um uns wieder auf den Boden der Realität zu holen. Wahrlich gute Witze waren es, die uns das Leben erzählte. Mittlerweile haben wir auch gelernt über sie zu lachen. Das ist also die dritte Lektion des ent-täuschenden Schrittes.


Ent-täuschungen sind die Witze des Lebens!
Entweder Du zerbrichst an ihnen oder Du lernst endlich über sie zu lachen!

 


Die Ent-Täuschung lob ich mir
Denn wenn ich das Wort wende
Wird mir klar, drum schreib ich´s hier
Sie ist der Täuschung Ende.

 Wirklichkeit heißt ihre Lehre
Und Wahrheit ist ihr Brot.
Drum schätze was sie Dir bescherte
Denn wahrlich tut sie Not.

Und wenn Du fleißig hast gelernt
Das Weinen ist vergebens
Wirst Du verstehen, Ent-Täuschung ist
Ein guter Witz des Lebens.
(Jonathan von Rosenberg)


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Bis bald, 

Kataleya und Jonathan