Der Grundschritt

Wir sind zu Fuß auf einer kleinen Straße zwischen Putre und Arica unterwegs. Die Mittagssonne brütet über unseren Köpfen, die großen Rucksäcke lasten schwer auf Hüften und Schultern und das ständige Auf und Ab der Straße lässt den vor uns liegenden Weg doppelt so lang erscheinen. Doch trotz der schnell einsetzenden Erschöpfung hat die Hitze auch ihre Vorteile.

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Foto: Kataleya von Rosenberg

Der brennend heiße Asphalt spornt einen an schneller zu laufen. An diesem Tag klappt es mit dem Trampen nicht so spielend, wie die Tage zuvor. Aber ich schätze, dass wir daran wohl selbst schuld sind. Wer entscheidet sich schon, genau zur Mittagszeit, während die Sonne am höchsten steht und die Menschen aus gutem Grund „Siesta“ machen, über halbzerschmolzenen Asphalt zu laufen?!? Auf knapp 4000m Höhe ist die Luft nämlich so dünn und die Sonnenstrahlung so stark, dass einem schnell klar wird, warum die meisten Menschen dieser Gegend eine Kopfbedeckung tragen. Zum einen natürlich, um Gesicht und Nacken zu schützen. Zum anderen jedoch, damit das furz-trockene Haar nicht aus Versehen Feuer fängt. Aus diesem Grund halten sie auch „Siesta“, was ebenfalls erklärt, warum uns bis jetzt kein einziges Auto passiert hat. Doch wir haben die seichte Vorahnung, dass diese Stunde in brütender Mittagshitze und der Hoffnung auf einen mitfühlenden Autofahrer nur ein kleiner Vorgeschmack dessen sein sollte, was uns in den kommenden Tagen erwarten würde.

Wir wollen die Atacama Wüste durchqueren. Das bekanntlich trockenste Fleckchen unserer Erde. Per Anhalter! Naja gut… „Fleckchen“ ist wohl etwas untertrieben. Die Atacama Wüste erstreckt sich über eine Länge von 1.200km und bedeckt eine Fläche von 105.000 Quadratkilometern. Der gesamte westliche Küstenstreifen Chiles, bis kurz vor der Hauptstadt Santiago de Chile, ist reine Wüste. Und genau das war auch unser Ziel. Santiago. Da wir gen Süden nach Patagonien reisen wollen, was auf direktem Wege nur über die Panamericana möglich ist und diese nun einmal von Arica nach Santiago direkt durch die Atacama Wüste führt, blieb uns keine andere Wahl. Warum man das per Anhalter macht? Na hör mal… ein Busticket kostet 45 Euro und unseren goldkackenden Esel hatte der Zoll schon lange einkassiert. Außerdem ist Trampen eine wundervolle Möglichkeit, tiefer in die Kultur des Landes, seine Menschen und die Sprache einzutauchen. Und wir machen uns keine Sorgen, ob wir eine Mitfahrgelegenheit finden würden. Der gesamt LKW Verkehr zwischen Nord- und Südchile verläuft über diese Straße, da es die einzig gut ausgebaute Verbindung ist. Und der ein oder andere LKW-Fahrer ist vielleicht dankbar für etwas Gesellschaft auf der 2000km langen Strecke von Arica nach Santiago. Noch sind wir jedoch nicht soweit. Erstmal galt es die 150km von Putre nach Chile zurückzulegen. Wir hoffen, dass es den ein oder anderen Menschen gibt, der verrückt genug ist, um auch während dieser Mittagshölle mit dem Auto unterwegs zu sein. Und es gab ihn auch. Nach einer Stunde war es soweit und wir durften es uns im PickUp Truck eines Minenarbeiters gemütlich machen. Carlos war aufgeschlossen und redselig, so wie die meisten Menschen dieser Gegend. Er erzählte uns viel von seiner Familie, dem Arbeiten in einer Mine und der Gegend die wir durchquerten. Die Natur zwischen Putre und Arica beschränkt sich im Großen und Ganzen auf Sand und Stein. Manchmal auch Sandstein. Das war dann wohl Mutter Naturs verzweifelter Versuch kreativ zu sein. Ansonsten gibt es hier nichts. Doch! Etwas Auffälliges gibt es noch. Kreuze! Der gesamte Weg ist gesäumt von kleinen, hölzernen Kreuzen. Und jedes einzelne steht für einen verunglückten Fahrer. Diese Straße birgt viele Gefahren. Insgesamt fährt man ca. 4000 Höhenmeter bergab. Rechts und links der Straße befinden sich demzufolge steile Abhänge, welche nur sehr selten durch Leitplanken geschützt sind. Zudem wechselt es ab und zu zwischen Schotterpiste und Asphalt und die Straße ist geschmückt mit tiefen Schlaglöchern. 90% des Verkehrs besteht aus LKWs, welche Bolivien und Chile wirtschaftlich verbinden. Und besonders der Zeitdruck und gelegentlich auch die Langeweile spornen die Fahrer zu riskanten Überholmanövern an. Zudem kaut eine Vielzahl von ihnen „aufgrund der Höhe“ die weitverbreiteten Kokablätter und ist des Alkohols Freund. So zumindest erklärte es uns Carlos.

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Foto: Kataleya von Rosenberg

Alle Punkte in Kombination erhöhen die Unfallrate immens. Und so ist es nicht verwunderlich, das ein oder andere umgekippte Fahrzeug am Straßenrand zu finden.

Doch wir sorgen uns nicht. Carlos fährt gemütlich und entspannt. Er erzählt viel, was unser Sprachverständnis übt und die Hitze sowie die Natur sehr erträglich machen. Fünfzig Kilometer vor Arica überrascht uns in Mitten der kargen Felslandschaft ein Meer aus grünen Feldern und Bäumen. Vor langer Zeit schnitt sich wohl ein riesiger Fluss tief in die Bergwelt hinein und hinterließ ein Tal, dessen Boden noch immer fruchtbar und feucht ist und somit perfektes Ackerland darstellt. Von Früchten über Gemüse bis hin zu Olivenbäumen findet sich hier alles.

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Foto: Kataleya von Rosenberg

Gegen 17 Uhr kamen wir in Arica an. Die erste Etappe unserer Reise war geschafft. Jetzt lagen nur noch schlappe 2064km vor uns. Carlos setzte uns an einer, direkt am Ortsausgang liegenden, Tankstelle ab. Tankstellen sind hervorragende Orte zum Trampen, da man die Menschen direkt ansprechen kann. Es ist leicht einen Menschen zu ignorieren, wenn man mit 100km/h an ihm vorbeifährt. Wenn Dir derselbe Mensch jedoch direkt in Deine Augen schaut und Dich um Hilfe bittet, dann ist es verdammt schwer, ihn einfach stehen zu lassen. Besonders dann, wenn man ein leeres Auto hat und in die selbe Richtung fährt. Was für einen Grund sollte es geben, außer dass man einfach keinen Bock hat. Und keiner sagt einem das ins Gesicht. Unsere Hoffnung ist also, einen LKW zu finden, der direkt von Arica nach Santiago durchfährt. Das würde uns viel Stress und Zeit ersparen. Die andere Option wäre das Vorhangeln von Stadt zu Stadt, was immer die Gefahr birgt, irgendwo übernachten zu müssen und ggf. nicht drum herum zu kommen, ein Hostel zu bezahlen. Und vor den beiden größten Städten auf dieser Strecke, Antofagaste und Iquique, hat uns bis jetzt jeder Chilene gewarnt. Gefährliche Drogenhochburgen nannten sie sie.

Somit müssen wir jetzt jene nette Seele finden, die ihr Zuhause vorrübergehend mit uns teilen möchte. Wir machen uns auf, die lange Schlange der wartenden LKWs abzuklappern und werden direkt beim ersten fündig! Großer sauberer LKW und ein freundliches Lächeln. Er sagt, er würde morgen Mittag nach Santiago aufbrechen und könnte uns mitnehmen. Checkpot! Jetzt müssen wir nur noch etwas Verpflegung und einen Schlafplatz für diese Nacht finden und dann sind wir auch schon fast in Santiago.

Wildes Campen in Wüstenstädten fällt uns immer etwas schwer. Abgesehen davon, dass der Boden entweder immer knüppelhart oder sandig-weich ist, gibt es kaum Möglichkeiten zum ″Verstecken″. Hier gibt es keine Parks, wie man sie aus Deutschland kennt. Ein Park bedeutet meist eine einfache Freifläche mit einem Spielplatz in der Mitte. Auf Google Maps werden diese Orte gerne in der Farbe Grün dargestellt, wovon man sich nicht täuschen lassen darf. Grün ist meist das Letzte, was man dort findet. Deswegen werden wir wohl bleiben, wo wir sind. An der Tankstelle. Das ist vielleicht nicht ganz so romantisch, wie etwas außerhalb der Stadt, in der Wüste unter klarstem Sternenhimmel, jedoch bringt es viele Vorteile mit sich. Es ist verhältnismäßig sicher, weil ständig Menschen in der Nähe sind. Man hat meist kostenlose Toiletten zur Verfügung und vereinzelt sogar Duschen. Außerdem haben wir immer unseren LKW in greifbarer Nähe, falls sich seine Pläne spontan ändern sollten. Im Supermarkt gegenüber werden wir uns noch mit etwas Essen und einem kühlen Dosenbier zur Feier des erfolgreichen Tages versorgen und uns dann in unser wohnlich eingerichtetes Schlafgemach begeben.

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Foto: Kataleya von Rosenberg

(Der große blaue LKW im Hintergrund ist unserer! 😉 )

4 Tage später!!!

Wir sind noch immer nicht in Santiago! Wir sind müde, hungrig, durstig, verspannt, verstaubt und der Schweiß rinnt uns förmlich den Körper hinab und staut sich feinsäuberlich in unseren Schuhen. Schuhe? Ja Schuhe! Draußen sind es 40ºC und wir müssen Schuhe tragen! Oh welch grausame Folter uns da auferlegt wurde. Aber sei es drum. Man macht das Beste aus der Situation und erfreut sich am lustig-platschenden Geräusch, wenn man seine Zehen im eigenen Fußsud hin und her bewegt. Ekelhaft oder? Ich werde wohl nie verstehen, warum ein vollgeschwitzter Stinkeschuhe samt seiner ständig verdreckten Sohle als hygienischer betrachtet wird, als ein frisch gewaschenes Füßlein an frischer Luft.

Ich muss wohl nicht erwähnen, dass unsere Reise nicht ganz so verlief, wie wir es uns vorstellten. Deswegen sind wir noch immer 4 Stunden von Santiago entfernt. Die gute Nachricht ist jedoch, dass wir den Großteil der Strecke bereits hinter uns haben und heute endlich ankommen würden.
Es ist 6 Uhr morgens und wir befinden uns bei La Serena, einer größeren Stadt vor Santiago. Die letzten 3 Tage war mir nicht wirklich zum Schreiben zu Mute. Zu warm, zu kalt, zu wackelig, zu unbequem. Sind das genügend Ausreden? Doch jetzt hebt sich meine Stimmung wieder und damit auch der Stift in meiner Hand. Und fleißig soll er jetzt schreiben, um das Erlebte mit Worten zu malen. Ich schätze, es ist die sich plötzlich ändernde Landschaft und der Sonnenaufgang, welche meine Lebenssäfte wieder zum Fließen bringen. Vier Tage haben wir nichts anderes als karge Wüstenlandschaft gesehen. Wie sollte es am trockensten Ort der Welt auch anders sein? 18 Stunden täglich verbrachten wir sitzend in einem LKW. Nachts fielen die Temperaturen bis unter 0°C, tagsüber stiegen sie auf über 40°C. Man konnte sich entscheiden zwischen geschlossenem Fenster und hochofenartiger Hitze oder geöffnetem Fenster mit ofenartiger Hitze und einem Kilo Staub pro Stunde.

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Foto: Kataleya von Rosenberg

Wir wählten letzteres und dementsprechend sahen wir auch aus. Die Haare nahmen einen hübschen Grauton an und die Umverteilung der Flüssigkeit von unserer Haut, hin zu unseren Schuhen, ließ uns auf einen Schlag 20 Jahre älter aussehen. Gemischt mit den Rückenschmerzen von insgesamt 60h Sitzen, bewegten wir uns steifer als ein Walross mit Krampfanfall. Wie Jorge (unser LKW-Fahrer) das seit 35 Jahren aushält, ist mir ein absolutes Rätsel.

Doch trotz der „kleinen Unannehmlichkeiten“ sind wir unendlich froh, letztendlich eine Mitfahrtgelegenheit gefunden zu haben und kurz vor unserem Ziel zu sitzen.

Ein kleiner Rückblick. Der nette LKW-Fahrer, der einst versprach uns mitzunehmen, hatte sich anscheinend umentschieden. Nachdem wir eine sehr angenehme Nacht in unserem Zelt neben der Tankstelle verbracht hatten und bereit waren loszuziehen, sahen wir, wie unser LKW begann langsam auszuparken. Wir fragten ihn, ob wir jetzt losfahren würden, doch er sagt, er würde erst alleine zum Beladen fahren und uns gegen 14 Uhr hier abholen. Die 5h des Wartens schienen wie eine Ewigkeit, welche wir mit Ukulele spielen, Hörbuch hören und Schreiben füllten.

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Foto: Kataleya von Rosenberg

Dann ward es endlich 14 Uhr und wir stellten uns voller freudiger Erwartung mit Sack und Pack an den Straßenrand. Es verging die erste Stunde, die Zweite, die Dritte, die Vierte. Gegen 18 Uhr gestanden wir uns ein, dass er wohl nicht kommen würde. Erster SchrittRisiko → Fehltritt → Ent-täuschung. So langsam kannten wir das Spiel. Nachdem ich mir 10 Minuten des «Wütenden-Herumhampelns» gegönnt hatte, wurde es Zeit eine Lösung zu finden. So schön unser Plätzchen neben Tankstelle und Hundehäufchen auch war, eine weitere Nacht wollten wir hier nicht verbringen.

Während Kata geduldig unser Hab und Gut hütete, machte ich mich auf die Suche nach einer neuen Mitfahrgelegenheit. Eine Stunde und 30 LKWs später kehrte ich etwas entmutigt zurück. Es sah ganz nach einer weiteren Nacht in Arica aus. Just in diesem Moment bog ein großer blauer LKW um die Ecke und hupte uns zu. Den Fahrer konnten wir nicht erkennen, doch der LKW glich exakt jenem, der uns mitnehmen wollte. Er hatte es sich nicht anders überlegt! Er war zurückgekommen. Der LKW bog in die Tankstelle ein und ich rannte sofort hin. Ach wieviel würde ich geben, um meinen Gesichtsausdruck von jenem Moment zu sehen, als ich realisierte, dass es nicht unser LKW-Fahrer war. Ich sagte mir immer wieder „Das ist ein Witz des Lebens! Das ist ein Witz des Lebens!“ und wollte schon rumdrehen, als mir auffiel, dass ich ihn ja trotzdem fragen könnte, wo er hinfährt und ob er uns mitnehmen könne. Gedacht, getan. Tatsächlich war er auf dem Weg nach Santiago und würde uns mitnehmen wollen. Ich rannte zu Kata, wir schnappten unsere Sachen und auf ging die wilde Fahrt. Sehr schnell merkten wir jedoch, dass Jorge (für südamerikanische Verhältnisse) eine sehr stark ausgeprägte Vorliebe für Sauberkeit hatte. Als wir am LKW ankamen, lauteten seine Begrüßungsworte:

„Warum sind eure Sachen so dreckig? Zieht euch um bevor ihr einsteigt!“.

Mein Kinn schlug vor Erstaunen auf dem öligen Tankstellenboden auf. Das war leichter gesagt als getan, denn ich trug die einzig vernünftige Hose, die ich hatte. Ich schaute an mir herunter. Meine zuvor senffarben glänzende Hose war nach zwei Monaten des fast täglichen Tragens und Arbeitens schwarzgrau eingefärbt. Ich suchte verkrampft ein helles Fleckchen Stoff, zeigte drauf uns sagte ihm:

„Hier schau, die Sachen sind frisch gewaschen!“.

Natürlich war das lächerlich und er kaufte uns das nicht ab. Obwohl sie frisch gewaschen waren, sahen die Sachen für ihn so aus, als hätten wir gerade im Dreck gespielt. Als nächstes schaute er auf unsere Füße.

„Zieht Euch Schuhe an! Der LKW ist meine Wohnung und ich will nicht, dass ihr ihn dreckig macht!“

Eine amüsante Logik, aber wir folgten brav. Wer das eine will, muss das andere mögen. Danach drückte er mir einen Lappen in die Hand und schickte mich Felgen putzen. Wir standen kurz vor der Fahrt in eine der staubigsten Regionen der Welt und ich polierte Felgen auf Hochglanz. Nach 10 Jahren Rettungsdienst ist man dumme Arbeiten durchaus gewohnt, aber das übertraf vieles. Doch wenn man schon etwas macht, dann macht man es besser mit ganzem Herzen. Und so schrubbte ich, was das Zeug hielt. Zehn Räder später glänzte und funkelte es an allen Ecken und Enden. Wir schnallten unsere Rucksäcke auf der Ladung fest, stiegen ein und fuhren los.

Auch im LKW waren alle Armaturen vom Staub befreit und generell herrschte ungewohnte Ordnung. Definitiv die positive Seite des Ganzen. Vor allem dann, wenn man einige Zeit an diesem Ort verbringen würde. Ich begann sofort, Jorge mit vielen Fragen zu bombardieren, um ihn näher kennenzulernen und das Eis etwas zu brechen. Lange dauerte es nicht, bis er auftaute, über seine Familie sprach und Witze erzählte, die wir nicht verstanden. Es war also alles gut. Als wir in diesem engen LKW saßen, wurde mir auch klar, warum er so sehr auf Sauberkeit achtete. Der LKW ist sein Zuhause. Hinter dem Fahrer- und Beifahrersitz befindet sich ein kleiner Kühlschrank, einige Ablageflächen und ein Bett. Das wars. Hier verbrachte er den Großteil seines Lebens. Auf so engem Raum begannen wir schnell, seinen Drang nach Sauberkeit zu schätzen. Und ich fühlte mich etwas schlecht, mit meinen staubigen Hosen in seinen LKW eingestiegen zu sein. Dieses Gefühl hielt so lange an, bis er zum ersten Mal in seinen Truck schnäuzte! Kein Scheiß! Das Ganze wiederholte sich noch 10 mal und ich verstand, dass wir alle einfach nur eine unterschiedliche Auffassung von Sauberkeit hatten.

Wir unterhielten uns während der ersten Stunden fast durchgehend. Ich fragte ihn mehr oder minder nebenher, wie lange die Fahrt nach Santiago eigentlich dauern würde. Wir wussten, dass es per Bus 28h Stunden sind und andere LKW-Fahrer erzählten uns bereits, dass es ca. 36h mit dem LKW dauert. Mir sprengte es jedoch die Schlüpfer weg, als er sagte, dass es 4 Tage dauern würde. Ich überlegte, ob wir vielleicht noch einen Zwischenstopp in Wladiwostok einlegen, bevor wir nach Santiago fahren, denn nur so schien es mir einleuchtend. Das war aber selbstverständlich nicht der Fall. Wir kamen einfach nur unglaublich langsam voran.

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Foto: Kataleya von Rosenberg

Alle paar Kilometer hielten wir an und strafften die Spanngurte nach, flickten die eingerissene Plane mit Draht wieder zusammen und befreiten die Windschutzscheibe vom Staub. Die Felgen ersparte er mir zum Glück. Ab einem bestimmten Punkt wechselte die asphaltierte Straße in Schotterpiste und Jorge fuhr noch vorsichtiger, als er es zum Ärger seiner hinter uns hupenden Kollegen so schon tat. Doch als ich auch hier wieder all die hölzernen Kreuze am Straßenrand sah, war ich sehr schnell dankbar für Jorges Vorsicht. Schließlich hatte er jetzt nicht nur die Verantwortung für sich selbst, sondern er hatte sie auch für Kata und mich übernommen. Und so zuckelten wir langsam dem Sonnenuntergang entgegen.

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Foto: Kataleya von Rosenberg

Die anfängliche Hitze wandelte sich in bittere Kälte, als der Nachthimmel immer dunkler wurde. Jorge sagte, er würde fahren bis er müde wird und dann ein paar Stündchen schlafen. Wir wussten, wir müssten die Nacht in unserem Zelt neben dem LKW verbringen, doch wir rechneten nicht damit, dass es so abrupt geschehen würde. Gegen 4 Uhr morgens hielt Jorge plötzlich auf einem verlassenen Schotterplatz an und sagte liebevoll:

„Raus, raus, raus! Ich will schlafen.“

Wir stiegen völlig überrumpelt aus, er zog die Gardinen der Fenster zu und wir standen da. In tiefster Dunkelheit, bei 0°C Außentemperatur, in Mitten der Atacama Wüste, um 4 Uhr nachts und durften unser Zelt aufbauen. Zum Glück hatten wir eine kleine Taschenlampe, die so viel Licht produzierte, wie drei Glühwürmchen bei Tag. Doch jammern half auch bloß nichts. Wir schnallten unsere Rucksäcke von der Ladung ab, versuchten ein Plätzchen zu identifizieren, bei dem man sich möglichst nicht auf eine Skorpionfamilie legt, suchten uns einen handlichen Stein und errichteten das Zelt. Die Heringe gingen nur zur Hälfte in den harten Boden, was uns nach einer windstillen Nacht beten ließ. Eine halbe Stunde später lagen wir dick angezogen und totmüde im Zelt und schliefen ein.

Der nächste Morgen begann 3 Stunden später mit dem lauten Gebrüll des Motors und einem freundlichen Hupen. Wir schreckten auf und packten hektisch unser Zeug zusammen, während Jorge hinterm Steuer saß und uns zuschaute. Zehn Minuten später hatten wir alles notdürftig verstaut uns stiegen in den Truck. Da machte er den Motor aus und sagte, er geht jetzt frühstücken. Wir hofften, dies sei einer seiner Witze, die wir nicht verstanden, doch als er in dem kleinen Holzhäuschen verschwand, wussten wir, dass er es ernst meinte. Da wir nicht das geringste Hungergefühl verspürten, setzten wir uns auf eine eingefallene Bank und genossen die warme aufgehende Sonne nach einer eiskalten Wüstennacht. Dreißig Minuten später war es soweit und wir fuhren los.

Über die restlichen drei Tage gibt es nicht viel zu berichten, da der Ablauf immer derselbe war. Stundenlanges Fahren, Mittagspause, stundenlanges Fahren, Abendessen, stundenlanges Fahren, abruptes Anhalten im Nirgendwo, Zelt aufbauen im Dunkeln, 4h Schlaf, hektisches Zelt abbauen, stundenlanges Fahren. Alle 50km hielten wir an, um Plane und Spanngurte zu straffen.

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Foto: Kataleya von Rosenberg

Noch nie habe ich Kilometerangaben so gehasst, wie in diesen Tagen. Dafür, dass wir 18h pro Tag kontinuierlich fuhren, wollten die Biester einfach nicht weniger werden. Die Landschaft war da ebenfalls keine Rettung. Der Großteil der Strecke ist steiniges, sandiges Flachland. Das Aufregendste, was man hier sieht, sind zahllose Minen, in denen Kupfer, Lithium und andere Rohstoffe abgebaut werden. Die meisten Minen sind privatisiert und gehören amerikanischen oder europäischen Unternehmen. Und bei der enormen Anzahl an Minen die wir sahen, könnte man meinen, Chile wird komplett ausgehöhlt.

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Foto: Kataleya von Rosenberg

Da wurde uns auch klar, was mit Chile eigentlich passiert. Dieses Land hat so gut wie alles, was man sich vorstellen kann. Mineralien, Metalle und Edelmetalle jeglicher Art, reichhaltige Petroleum und Erdgasvorkommen, riesige Plantagen auf denen fast jede vorstellbare Obst- und Gemüseart wächst, Wälder, Süßwasserseen, endlose Küstengebiete zur Salzproduktion, Meere zur Fischerei und Vulkane mit seltenen Erden. Dieses Land könnte wahrscheinlich völlig autark leben, hätten sie nicht alles fast vollständig privatisiert und an stinkreiche Ausländer verkauft. Deshalb hangelten wir uns nun von Mine zu Mine, während wir unseren spanischen Hörbüchern lauschten.
Ab und zu geschah es sogar, dass wir einen verrückten Radfahrer am Straßenrand entdeckten. Jaaa… es gibt tatsächlich Menschen, die mit ihrem Fahrrad über 2000km durch die trockenste Wüste der Welt fahren. Vollkommen bekloppt und beeindruckend zugleich. Mir fiel es schwer zu verstehen, was einen Menschen dazu bewegt, alleine und ungeschützt durch diese raue Landschaft zu fahren. Kata und mir haben 4 Tage Hitze und Tristheit, sowie 3 Nächte Kälte und Schlafmangel bereits zugesetzt. Und da mussten wir weder selbst fahren, noch uns auf einem Fahrrad abquälen. Wie man das 2-3 Wochen auf seinem Drahtesel aushält, erscheint mir völlig rätselhaft. Aber vielleicht sind wir auch einfach Weichflöten.

Es sind jetzt nur noch 3h bis wir Santiago erreichen und die Frage nach dem WARUM lässt mich nicht mehr los. Ich schaue verträumt aus dem Fenster und beobachte, wie Wetter und Landschaft sich ändern. Die Wolken ziehen langsam hinfort und lassen den Sonnenaufgang noch imposanter erscheinen, während sich mehr und mehr Grün in die karge Landschaft mischt. Selbst die zuvor so spärlich ausgebaute Asphalt- Schotterpiste wandelte sich plötzlich in eine Autobahn mit gehobenem europäischen Standard. Mit dem Aufstieg der Sonne fühlt es sich an, wie der Eintritt in eine neue Welt. Die Straße führte eine kleine Anhöhe hinauf und als wir den höchsten Punkt erreicht hatten, konnten wir unseren Augen nicht trauen. Stein und Sand sind komplett verschwunden und vor uns erstrecken sich grüne Wiesen, gepfercht mit Blumen in verschiedensten Farben, blühenden Bäumen und dem blauen Meer im Hintergrund.

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Foto: Kataleya von Rosenberg


Ich sehe diese Landschaft vor mir und kann nicht anders, als zu schreiben.


Aus Wüstennacht emporgestiegen
Erblickt ich blaue Meere.
Des grünend Gras, des Seelufts Duft
Sie füllten meine Leere.

Tristheit schwand mit jedem Schritte
Den Wolken gleich zog sie hinfort.
Und Wahrheit ward des Herzens Bitte
Das Leben möge füllen den Ort.

Mit Fleiß gebahr des Lebens Lende
Pflanzenwelt in ganzer Pracht.
Bunt setzte Sie dem Sand ein Ende
Und lehrte mich der Farben Macht.

Jonathan von Rosenberg


Ich möchte hinaus in diese bunte Pracht, zwischen Bäumen und Sträuchern wandeln und meinen Gedanken freien Lauf lassen.
Doch das geht nicht. Ich sitze im LKW fest. Hier ist nicht einmal genügend Platz für einen einzigen Schritt. Doch mein Körper drängt mich förmlich nach Bewegung. Rücken und Nacken sind von 60h sitzen vollkommen verspannt. Meine Gelenke schmerzen vom Bewegungsmangel und trotz des ganzen Nichtstuns fühle ich mich mehr denn je nach Nichtstun. Nur gehen will ich, doch das geht nicht. Ich schaue Jorge beim Fahren zu und frage mich:

WARUM?!?

Warum tut man sich das 35 Jahre lang an? 35 Jahre unregelmäßiger Schlaf, unregelmäßiges Essen, unregelmäßige Arbeitszeiten, kaum Zeit für Familie und Kinder, ein ständig versteifter und schmerzender Körper und kaum Abwechslung. Seit 15 Jahren fährt er die selbe Route. Immer von Santiago nach Arica und zurück. Warum?

Ich denke an den erschöpft am Straßenrand sitzenden Fahrradfahrer und frage mich… Warum? Warum nimmt man freiwillig solche Anstrengungen und Risiken auf sich? Was bewegt einen dazu?

Und ich fragte mich, was uns dazu bewegt hat, 2000km mit einem wildfremden Menschen durch die Atacama Wüste trampen zu wollen, anstatt es für 45 Euro wesentlich schneller, sicherer und komfortabler haben zu können.

Dabei fällt mir auf, dass in meiner Frage bereits die Antwort enthalten ist. Die Frage „Was bewegt einen Menschen dazu, etwas zu tun“, impliziert, dass bereits eine Bewegung VOR der eigentlichen Bewegung existiert. Etwas in uns bewegt uns dazu, uns zu bewegen. Das heißt, es existiert ein zusätzlicher Schritt VOR dem Ersten Schritt. Doch was ist dieses „Etwas“, was uns bewegt? Dieses „Etwas“ ist unser WARUM, unser Ziel, unser Grund. Jedes Ding, jedes Wesen, jeder Mensch und jede Bewegung hat seine Ursache. Alles was geschieht, ob bewusst oder unbewusst, hat seinen Grund. Das bedeutet, es gibt einen Grund vor jedem Ersten Schritt. Und dieser nennt sich…

Der Grundschritt

Er kommt noch vor dem Ersten Schritt, weil er es ist, der dem Ersten Schritt seine notwendige Energie verleiht. Je stärker der Grundschritt ist, umso höher ist die weitergegebene Energie und umso größer ist der Impuls zum Ersten Schritt. Der Grundschritt ist also das Energiereservoir in unserem Inneren, welches unsere Schritte in der äußeren Welt mit Energie versorgt.

Das war das Geheimnis des Radfahrers, der Minenarbeiter und unseres LKW-Fahrers, die sich freiwillig in diese völlig menschenfeindliche Umgebung begaben. Alle hatten ihren Grundschritt gefunden, der ihnen Kraft verleiht. Was dieser Grundschritt ist, dass wissen nur diese Menschen selbst. Das einzige was ich tun kann, ist mutmaßen. Der eine macht es vielleicht für seine Familie, der andere wegen des Geldes und der letzte wegen der Herausforderung. Oder sie taten es einfach, weil sie es liebten. Zumindest ist das Jorges Grund, warum er sich seit 15 Jahren dieselbe Strecke antut.

Ich denke an meine letzten Arbeitsjahre und die unzähligen Kollegen zurück, von denen sich der Großteil ununterbrochen über ihren Job beschwert hat. Mich eingeschlossen. In unserem Familien-, Freundes-, und Bekanntenkreis existiert fast keiner, der mit Begeisterung und Herzenslust von seiner Arbeit spricht. Für die meisten ist es das Übel, was man auf sich nimmt, um die ein oder andere Woche im Jahr das tun zu können, was man liebt. Ich erinnere mich auch an die Tausenden leeren Augen meiner hauptsächlich älteren Patienten, in die ich täglich blickte, welche schon längst ihren Glanz und ihre Frische verloren hatten. Je stumpfer das Wesen der Menschen wurde, umso trister und trüber schienen auch die Augen zu werden. Und umso länger und hartnäckiger hingen interessanterweise auch die Krankheiten an ihnen. Eine sehr lange Zeit dachte ich, dieses Abstumpfen und «Sinn-lose Herumvegetieren» sei eine ″normale″ Begleiterscheinung des Alters, doch ich war jung und sah noch mit den falschen Augen. Von Zeit zu Zeit jedoch mischte sich ein Mensch zwischen die Leute. Ein alter Mensch, der seinen Augenglanz noch nicht verloren hatte. Sie waren meist älter und gesünder als der Rest und einzig und alleine ein Missgeschick führte sie zu mir. Es machte Spaß sich mit diesen Menschen zu unterhalten, weil sie noch etwas zu erzählen hatten. Die meisten waren über 80 Jahre alt und lebten noch! Und mit „leben“ meine ich nicht das «sinn-lose-in-der-Gegend Herum-Atmen-und-Scheißen», sondern ich meine wirkliches LEBEN! So richtig mit Rausgehen und Luft und Licht und Hobbies und Liebe und so! Verstehst Du?

Mit Anfang 20 ist man zutiefst betrübt, wenn man 12h seines Tages mit entmutigten, kranken, alten Menschen verbringt und sich eine Trauergeschichte nach der anderen anhört. Man läuft Gefahr zu denken, es wäre ″normal″. Doch meine Rettung waren jene Menschen, deren Augen mich noch immer anfunkelten, als ich sie erblickte. Dieses Funkeln wurde zu meiner persönlichen Sternenschnuppe, die mir den richtigen Weg weisen sollte. Ich begann jene Menschen nach dem Geheimnis ihres Glücks zu fragen, doch immer waren die Antworten unterschiedlich. Meine Kinder, mein Garten, mein Hund, mein Ehemann, Kochen, Essen, Musik, Natur, Wandern, Familie. Anfangs fiel es mir schwer die gemeinsame Essenz zu erkennen, doch mit der Zeit wurde es mir klar. Alle hatten einen Grund! Jeder einzelne hatte in seinem Leben etwas, was er liebte und was ihm die notwendige Lebensenergie verlieh, um gesund und munter zu bleiben. Und da diese Menschen mit erhobenem Haupt und freudig lächelnd durchs Leben gingen, konnte diese Energie bis in die Augen steigen, aus denen sie sternenklar funkelte. Nach und nach begriff ich, dass Alter nicht zwangsläufig Verfall bedeutet. Erst recht nicht geistig. Ich begann in allen Augen die ich traf, nach meiner Sternenschnuppe zu suchen, doch nur selten wurde ich fündig. Und die erschreckendste Erkenntnis aus dieser Tatsache wurde zeitgleich auch die Wichtigste. Sternenschnuppen-Augen sind vollkommen unabhängig vom Alter! Denn ich sah die gleich trübe Leere in den Augen meines 40-jährigen Kollegen, welche ich auch in meinem 80-jährigen Patienten sah. Der einzige Unterschied war, dass mein Kollege glücklicherweise nicht bis zum Hals zugeschissen war und vor sich hinsabberte. Dinge wie Gesichtsausdruck, Körperhaltung und Lebensfreude ähnelten sich jedoch stark. In diesem Moment wurde mir bewusst, dass bereits der Großteil der jüngeren Leute stark an einer Vorstufe des «Sinn-losen-in-der-Gegend-Herum-Atmen-und-Scheißen» litt. Aufgrund der aufrechten Körperhaltung und der vorhanden gebliebenen Fähigkeit mehr oder minder sinn-volle Laute von sich zu geben, fällt es bloß nicht so auf. Und all das nur, weil ihnen ein Grund im Leben fehlt.

Die Jahre vergingen und ich begann auch in mir die ersten Anzeichen des Sternenschnuppen-Mangels festzustellen. Über die Arbeit beschwerte ich mich immer mehr und freute mich immer weniger. Nach und nach wurde meine einstige Berufung zum Beruf, dann zur Arbeit und zum Schluss zu einem Job. Mein Körper rebellierte und meine Gemütsschwankungen wurde unerträglich. Für beide, Patienten und Kollegen. Eines Tages dann, als ich es nicht mehr aushielt, rannte ich zum Spiegel. Ich schaute mir in die Augen und suchte meine Sternenschnuppe. Doch ich fand sie nicht. Sie war verschwunden. Das war der Tag, an dem ich entschied, mein Leben zu ändern. Deswegen schreibe ich jetzt. Ich will meine Sternenschnuppe wiederfinden.


Augen funkelnd sternenklar
Das Wesen leuchtend, stark und wahr.
Die Seele rein von Schmutz und Staub
Im Geiste klar, im Wille laut.

Mit stetem Schritt schwebt Sie voran
Denn Kraft Ihr gibt Ihr Seelendrang.
Gebor´n im Grunde Ihres Seins
Vereint er Weg und Ziel in Eins.

Das Leben frei von Angst und Sorgen
Lebt Sie nur Heute niemals Morgen.
Unbekümmert ist Ihr Gang
Im Denken frei, im Herz Gesang.

Keine Worte brauchten wir
Der Augen Blicke reichten mir.
Denn ich erkannt den tiefsten Glauben
In Ihren Sternenschnuppen-Augen.

Jonathan von Rosenberg


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Foto: Kataleya von Rosenberg


An dieser Stelle möchte ich auch Dich gerne fragen:

Wenn Du in den Spiegel schaust, siehst Du Sternenschnuppen-Augen?

 

Wir befinden uns mittlerweile 150km vor Santiago de Chile und es fällt mir schwer zu glauben, dass mir hier in diesem engen und stickigen LKW eine der wichtigsten Lektionen des Lebens und des Gehens bewusstgeworden ist. Wir alle brauchen einen Lebenssinn, ein WARUM, einen Grund.

Wir alle brauchen einen Grundschritt.

Nur er verleiht uns die Energie, um bis ans Ende unseres Lebens wirklich zu LEBEN. Genauer gesagt verleiht er uns die Energie, um auch wirklich bis ans Ende unseres Lebens GEHEN zu können. Das ganze Problem an der Sache ist nur, dass ein Grundschritt ausschließlich aus dem Inneren eines jeden Menschen kommen kann. Wenn der Grundschritt von außen kommt, dann ist es kein Grundschritt. Dann ist es ein Arschtritt! Verstehst Du? Um einen Ersten Schritt machen zu können, brauchst Du Energie. Und die kommt entweder von außen oder von innen. Auf Schlau nennt man das extrinsische und intrinsische Motivation.

Hast Du also einen Grund, ein großes WARUM in Deinem Leben, dann vollzieht sich in Dir ein Grundschritt, dessen Impuls zum Ersten Schritt führt.
Hast Du jedoch keinen Grund in Deinem Leben, dann brauchst Du Energie von außen, welche Dich zum Gehen bewegt. Und die einzige Möglichkeit für das Leben das zu bewerkstelligen, ist mit einem kräftigen Arschtritt. Wenn der Magen vor Hunger schmerzt und knurrt, ist das der Arschtritt des Lebens, arbeiten zu gehen, Geld zu verdienen und Brot zu kaufen. Andere Menschen gehen arbeiten, weil es ihnen ein inneres Bedürfnis ist und Geld und Brot sind die guten Nebeneffekte des Ganzen. In diesem Fall kommt die Motivation aus dem Inneren, vom Grundschritt. Im ersten Fall jedoch kommt sie von außen, in Form eines Arschtritts. Denn würde Dir das Leben, die Große Gehende, nicht ständig in Deinen Arsch treten, um Dich voran zu treiben, hätte sie keine andere Wahl, als über Dich hinweg zu gehen. Das nennen wir dann Tod und finden es gar nicht mehr cool. Doch keine Angst. Die Große Gehende wird Dir solange in den Arsch treten, bis sich entweder in Dir selbst ein Grundschritt vollzieht, mittels dessen Du eigenständig vorankommst oder bis Du von all den schmerzvollen Arschtritten einfach zu müde zum Aufstehen bist und erschöpft liegen bleibst. Dann hat die Große Gehende keine andere Wahl. Dann muss sie über Dich hinweggehen und Dein Kapitel wird vorerst enden.
Natürlich kann man jetzt argumentieren, dass man auch mit Arschtritten vorankommt. Doch da gibt es zwei Probleme. Die Große Gehende tritt einem nicht zwangsläufig in die Richtung, in die man gehen möchte und ein Arschtritt reicht meist nur für 3-4 Schritte. Dann bekommst Du einen neuen Arschtritt in eine andere Richtung und fängst von vorne an. Und jeder Tritt schmerzt mehr und mehr.

Ein Grundschritt hingegen bringt Dich immer in die Richtung, in die Du gehen willst, weil er aus DEINEM Inneren kommt. Und je tiefer der Grund ist, den Du in Deinem Leben siehst, umso stärker ist sein Impuls. Dieser Impuls ist jedoch kein schmerzender Impuls, der Dich nach vorne stößt. Vielmehr ist es ein liebevoller Impuls, welcher Dich nach vorne zieht. Man muss sensibel werden, um ihn spüren zu können. Wenn dieser Grundschritt aus den tiefsten Tiefen Deines Seins stammt, dann reicht ein einziger Impuls aus, um Dir Kraft für Dein gesamtes Leben zu verleihen.

Jetzt leuchtete es mir auch ein, warum die Zahl der Sternenschnuppen-Augen mit zunehmendem Alter schwindet. Unsere Geburt ist wie ein liebevoller Arschtritt des Großen Lachenden, hinein ins Leben. Die Geburt trägt einen mächtigen Impuls mit sich, der über die ersten Phasen unseres Lebens anhält. Deshalb hat jedes Kind von Geburt an Sternenschnuppen-Augen. Doch mit dem Voranschreiten der Jahre nimmt dieser Impuls aufgrund des Trägheitsgesetzes ab und unser Leuchten verglimmt allmählich. Der Schritt wird schwerer und unsere Augen werden trüber. Je älter wir werden, desto stärker wirkt das Trägheitsgesetz auf uns ein und umso öfter und härter muss uns das Leben vorantreten. Aus diesem Grund wird es speziell im Alter umso wichtiger seinen Grundschritt zu finden, der einen weiter nach vorne zieht und einem Kraft und Freude verleiht, um nicht eines schönen Tages im Pflegebett vorm Fernseher mit zugeschissenen Windeln vom Leben übergangen zu werden.

Ein schlauer Mann schrieb einmal:

Wer ein WARUM im Leben hat, kann viele WIE ertragen.

Wahrlich so ist es. Das war das Geheimnis, was dem LKW-Fahrer, den Minenarbeitern und dem Radfahrer die Kraft verlieh diese Wüste zu durchqueren und was auch uns dazu bewegte, diese Unannehmlichkeiten auf uns zu nehmen. Wir alle hatten einen Grundschritt, der uns nach vorne zog. Und das war auch das Geheimnis der glücklichen und gesunden Menschen, welche auch im hohen Alter noch ihre Sternenschnuppen-Augen besaßen. Jetzt war meine Frage beantwortet.

Doch bevor ich während der letzten 50km unserer Fahrt den Stift bei Seite lege und einfach mal «dumm-in-der-Gegend-herum-atme», möchte ich Dir abschließend noch ein paar Fragen stellen.

Arbeitest Du für Geld oder bekommst Du Geld für Deine Arbeit?

Hast Du Sternenschnuppen-Augen?

Was ist Dein Grundschritt?

Gib Dir die Zeit und beantworte jede der Fragen für Dich selbst, denn es könnte Dir und Deinem Leben eine neue Richtung, einen neuen Impuls und einen neuen Glanz verleihen.

Wenn-das-Gehen-sich-füllt-mit-Schmerz-Und-nichts-scheint-als-ob-es-liefe-Herz-Sinn-Leben-Wille-Kraft-BarfussUmDieWelt-Jonathan-von-Rosenberg-barfuß

Text: Jonathan von Rosenberg | Foto, Grafische Gestaltung: Kataleya von Rosenberg