Der Verantwortungsbewusste Schritt

Lieber Leser, solltest Du neu sein und den letzten Beitrag nicht gelesen haben, dann empfehlen wir Dir, einen Schritt zurück zu machen und das Geheimnis des Unbeschwerten Schrittes kennenzulernen. Er stellt den ersten Teil zu diesem Beitrag dar und ist notwendig, um alles Folgende wirklich nachvollziehen und verstehen zu können. Klicke also hier, um die komplette Geschichte lesen zu können.

Für alle Anderen… Euch erwartet der letztliche Aufstieg auf den Gipfel und der Ausgang der eiskalten Nacht in der verlassenen Berghütte zwischen Sintflut und Hagel. Auf geht´s…

Endlich waren wir angekommen. Über drei Stunden dauerte der Aufstieg auf den Berg im Naturreservat Cañi. Unsere gesamte Kleidung war nass und schlammig, doch die Natur meinte es gut mit uns. Kurz vor der kleinen Berghütte, in der wir die erste Nacht verbringen würden, wichen die Wolken- und Nebelschwarten dem strahlenden Sonnenschein. Deswegen breiteten wir alles Versiffte auf einem großen Baumstamm aus, auf das es schnell trocknen sollte.

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Foto: Kataleya von Rosenberg

Die Berghütte war ein Holzhäuschen mit ebenfalls hölzernen Liege- und Sitzmöglichkeiten, sowie einer riesigen Feuerstelle in der Mitte. Da es in dieser Höhe anscheinend nicht geregnet hatte, machte ich mich direkt auf Feuerholzsuche, während Kata unsere Schlafmöglichkeiten vorbereitete. Danach reinigten wir einen Teil der Ausrüstung und genossen den blauen Himmel samt der wundervollen Aussicht. Währenddessen planten wir unsere Tour für den nächsten Tag, da immer noch gute 500 Höhenmeter bis zum eigentlichen Gipfel vor uns lagen. Würde das Wetter so bleiben, so könnten wir einen Großteil unserer Ausrüstung in der Hütte lassen und nur mit dem Notwendigsten den Gipfel besteigen. Dort sollte es ebenfalls möglich sein eine Nacht zu verbringen. Auf dem Gipfelplateau befinden sich mehrere kleine Seen, welche durch einen Rundweg verbunden sind. Eine schöne Art den Tag zu verbringen, dachten wir. Der Plan stand also.
Gegen Abend bereitete ich das Feuer vor und Kata schnippelte Zwiebeln und Tomaten. Wir waren alleine in der Berghütte. Zwar verirrten sich einige Wanderer hier hoch, jedoch nur um kurz durchzuatmen und den Rest des Berges zu besteigen. Wir hatten Zeit, deswegen gingen wir es ruhiger an. Zwar überlegten wir kurz, ob wir den Aufstieg nicht noch am selben Tag machen sollten, da die Sonne schien, doch nach den Erlebnissen des ersten Teils sehnten sich unsere Beine und Rücken nach einer Pause. Außerdem würde sich das sonnige Wetter ja wohl kaum in eine Sintflut verwandeln, welche den Aufstieg zur Farce machen würde. Ach, wie naiv wir doch waren.
Der Abend rückte immer näher und mit ihm auch die frostige Kälte und dicke, graue Wolken. Wir blieben jedoch entspannt. Schließlich hatten wir einen geräumigen Unterschlupf mit einer riesigen Feuerstelle, indem uns weder Kälte noch Regen etwas anhaben könnten. Ach, wie naiv wir doch waren.
Ich begann das furztrockene Holz wie ein echter Natur- und Überlebensexperte mit Benzin aus unserem Campingkocher zu entzünden und bewunderte mein Meisterwerk. Doch als ich stolz vorm Feuer stand, fiel mir ein unangenehmer Geruch auf, der sich um mich auszubreiten schien. Es roch wie in einer Räucherbude. Die Minuten vergingen und der Nebel, der sich mittlerweile um unsere Hüte gebildet hatte, schien nun auch in unsere Hütte vorzudringen. Ich warf einen flüchtigen Blick nach oben entlang des Abzugsrohres und schnell lüftete sich das Geheimnis. Mehrere große Löcher klafften darin, was den ganzen Mief im Raum verteilte. Die gesamte Kuppel des Häuschens war bereits mit Rauch gefüllt und da sich dort oben auch die Liegemöglichkeiten und unsere gesamten Sachen samt ausgepackten Schlafsäcken befanden, war das ein, gelinde ausgedrückt, höchst unerwünschter Zustand. Mittlerweile roch auch unser Atem nach frischem Räucherlachs, weswegen wir hektisch alle Türen und Fenster öffneten, unseres gesamtes Zeug schnappten und nach draußen rannten. Dort jedoch begann es bereits zu nieseln. Wie konnte es auch anders sein! Nichts wars mit molliger Wärme im Trockenen. Ich vergaß die Lektion des Unbeschwerten Schrittes komplett und beschwerte mich wie ein kleines Hampelmännchen. „Immer dieser scheiß Regen und die scheiß Kälte gerade dann, wenn man mal kochen will. Da geht man einmal wandern und genau dann muss es natürlich zu pissen anfangen, … blablabla.“ Du kennst das sicher. Doch auch hier half das ganze Beschweren selbstverständlich alles nichts, außer dass es einen das ganze Leben nur noch schwerer machte, Energie verbrauchte und Zeit verschwendete. Lösungen finden ist die intelligentere Alternative. Außerdem wird es ja wohl kaum die nächsten 24 Stunden durchregnen. Ach, wie naiv wir doch waren.
Zum Glück nieselte es nur leicht, weswegen Kochen und Lagerfeuermachen durchaus noch eine valide Option darstellten. Nach zehn Minuten konnte man auch in der Holzhütte wieder sehen und atmen, worauf hin wir die Sachen wieder ins Trockene legten und ich die bereits entstandene Glut mit einer Metallplatte nach draußen tragen konnte. Das Holz war so trocken, dass es selbst dem Nieselregen standhielt und so kochten und aßen wir im Freien, während uns das Feuer wärmte.

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Foto: Kataleya von Rosenberg

Mit zunehmender Dunkelheit nahm auch der Regen zu. Wir verkrochen uns in unsere Schlafsäcke und hofften auf einen sonnigen Morgen und einen unbeschwerten Aufstieg zum Gipfel. Ach, wie naiv wir doch waren.

Vielleicht erinnerst Du Dich noch an unsere bitterkalten Nächte in den chilenischen Anden auf 4500m Höhe (Der Polare Schritt). Diese Nacht stand ihnen in nichts nach. An allen Ecken und Enden kroch der nächtliche Frost in unsere Körper, was Schlaf in dieser Nacht zu einer Teilzeitbeschäftigung machte. Das Blechdach über unseren Köpfen verriet uns, dass sich der anfängliche Nieselregen erst in Regen, dann in Platzregen und bald schon in Hagel wandelte. Gegen 7 Uhr morgens wurde es hell, doch von Sonnenschein konnte keine Rede sein. Der Hagel hatte sich wieder in Regen verwandelt und nussgroße Tropfen platschten auf das Blechdach. Eigentlich hatten wir die Gipfelbesteigung für heute geplant, doch bei diesem Regen… aussichtslos!
Wir entschieden uns erst einmal zu frühstücken und dem Wetter bis Vormittag Zeit zu geben sich zu bessern. Innerhalb der nächsten drei Stunden kamen eine Handvoll Wanderer an der Hütte vorbei, die kurz pausierten und schnell weiter in Richtung Gipfel gingen. „Na wenn die das können, dann können wir das auch!“ Gegen 11 Uhr ließ auch der Regen etwas nach und pausierte teilweise komplett, weswegen wir uns entschieden, den eineinhalbstündigen Aufstieg zu wagen. Jedoch ließen wir von der Idee ab, die Nacht auf dem Gipfel zu verbringen. Stattdessen hofften wir, der Regen würde während unserer Abwesenheit nachlassen und wir könnten eine weitere Nacht in der gemütlichen Holzhütte verbringen, unsere Sachen trocknen und am nächsten Tag in der Früh den Abstieg wagen. Ach, wie naiv wir doch waren!
Inmitten einer Regenpause zogen wir unsere Barfußschuhe an und begannen den Aufstieg. Der feuchte Wald roch wundervoll, einige Vögel zwitscherten und der Weg war gut begehbar. Generell war das ein Wald, wie wir ihn noch nie gesehen hatten. Zwischen den riesigen Laubbäumen dieser Region fanden sich plötzlich auch Bambusbüsche. Je höher wir stiegen, um so dichter, dicker und höher wuchs der Bambus. Nach 15 Minuten begann es selbstverständlich auch wieder zu regnen, die Temperaturen fielen ab und vereinzelt entdeckte man sogar Schnee zwischen Bäumen und Bambus. Für einen Moment vergaßen wir Kälte und Nässe und bestaunten einfach nur diese atemberaubende Natur.

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Foto: Kataleya von Rosenberg | Bearbeitung: https://pkfotografie.com

Der Regen wurde immer stärker und mit ihm wandelte sich auch der Weg in eine rutschige Schlammpiste. Wir hatten die wieder einmal naive Hoffnung unsere Barfußschuhe halbwegs trocken lassen zu können, weswegen wir von Wegesrand zu Wegesrand sprangen, umherliegende Stöcke wie Stabhochspringer nutzten und uns so von einer trockenen Stelle zur anderen hangelten.BarfussUmDieWelt-JonathanvonRosenberg-Verantwortliche-Schritt-Chile-Villarrica-Cani-Nationalpark-Wanderung-Bambus-Schnee-barfußNach einer Stunde waren Schuhe und Socken noch halbwegs trocken, als der Schnee im Wald plötzlich zunahm.
Der eigentliche Wanderpfad war nun im tiefen Schnee verschwunden und einzig die Fußstapfen der anderen Wanderer wiesen uns den Weg. Innerhalb von 30 Sekunden war es jetzt auch mit den trockenen und warmen Füßchen vorbei. Oh wie ich Esel mich sinnlos beschwerte und mir den vor mir liegenden Weg nur umso unerträglicher machte. Die anderen Wanderer kamen uns entgegen und warnten uns, dass die Spitze aufgrund des Schnees unbegehbar wäre. Muschies! Eine halbe Stunde vor dem Ziel kam aufgeben doch nicht infrage. Wir dankten freundlich für den Hinweis und setzten unseren Weg fort. Mittlerweile ging uns der Schnee vereinzelt bis zu den Knien und es war so kalt, dass aus den Regentropfen langsam Schneeflöckchen wurden. Dabei leuchtete mir eine große Wahrheit. Schneeflöckchen sind nur dann Wunderwerke der Natur, wenn man mit einer heißen Schokolade vorm Kamin sitzt, verträumt aus dem Fenster schaut und sie sich sanft an der Fensterbank absetzen. Oder wenn man dick eingepackt einen gemütlichen Sonntagsspaziergang durch den Park macht und sie zärtlich auf Deiner Nase landen. „Oh schau mal Schatz, wie schön sie doch aussehen. Einfach perfekt.“
Wenn Du jedoch komplett durchgeweicht bist, vor Kälte zitterst, keine warme Rückzugsmöglichkeit hast und der Wind Dir diese Biester direkt ins Gesicht bläst, kommen sie Dir vor wie miese, kleine, eiskalte Todessterne, die sich tief in Deine Haut schneiden. Noch nie habe ich Schnee so gehasst wie an diesem Tag und wieder beschwerte ich mich großzügig bei Gott und der Welt, so als hätte ich nichts aus den Erfahrungen des gestrigen Tages gelernt. Doch das sollte sich schon sehr bald ändern.
Nach insgesamt eineinhalb Stunden erreichten wir eine Lichtung, die die letzte Etappe in Richtung Gipfel ankündigte. Genau an diesem Ort, während ich meinem eigenen Beschweren lauschte und jeder weitere Schritt dadurch unerträglich wurde, kamen mir wieder die «Geschundenen Seelen» von gestern in den Sinn. Ich fragte mich, was uns Menschen dazu veranlasst ein Leben zu führen, vor dem es uns graut und worüber wir uns ständig beschweren. Ich fragte mich, was uns Menschen einst dazu veranlasste unseren «Rucksack der Vergangenheit» mit den schwersten und nutzlosesten Erinnerungen zu füllen, welche uns tagein tagaus belasten. Ich fragte mich, wann wir Menschen uns dazu entschieden zu Nachtragenden zu werden und unsere Mitmenschen mit längst vergangenem Ballast zu belasten. Ich fragte mich, wann wir Menschen es einst als normal akzeptierten, dass andere bestimmen, welchen Berg wir erklimmen und welchen Weg wir gehen. Ich fragte mich, wann der traurige Tag kam, an dem die Frage nach dem «Großem WARUM» in uns erlosch, wir unseren Sinn des Lebens vergaßen und unseren Grundschritt verlernten. Ich fragte mich, wann wir zu glauben begannen, das Grausein Gutsein bedeutet, obwohl es uns vor so vielem graut und das der Bunte Schritt nur etwas für Kinder, Künstler und Verrückte wäre. Und ich fragte mich, wann wir Menschen zu blind wurden, um zu erkennen, dass das Be-lasten, Be-schweren und Nach-tragen unweigerlich zu einem Uner-träglichen Leben führen muss.

Plötzlich sah ich auch wieder den Familienvater mit seiner kleinen Tochter im Arm vor mir, dem wir gestern begegneten. Die Trauer seiner tränenerfüllten Augen, sein geschundener Körper und seine Beschwerdenschreie hingen schwer in meinen Gedanken und ich fragte mich…

WARUM?

Kata und ich überquerten die schneebedeckte Lichtung, auf der sich der Schnee nun teilweise bis zu unseren Hüften türmte. Da all diese Fragen und Bilder in meinem Kopf kreisten, lief ich anscheinend wesentlich langsamer als sie, weswegen sie knappe 30 Meter vor mir war.

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Foto: Kataleya von Rosenberg | Bearbeitung: https://pkfotografie.com

Schon oft habe ich gehört und gelesen, dass die Antworten auf all unsere Fragen immer direkt vor unseren Augen geschrieben stehen und wir nur verlernt haben sie zu erkennen. Auf dieser Reise ist uns das zum erstem Mal wirklich bewusst geworden, als wir begannen im Leben zu lesen. Und wie ich schon in den vorhergehenden Schritten schrieb, webt das Leben diese Wahrheiten in jeden einzelnen Moment, damit alle Wesen die gleiche Chance haben, sie zu erkennen und zu verstehen. Dabei fiel uns ebenfalls auf, dass jeder Mensch auf unterschiedliche Weise im Leben liest und es einem meist bei jenen Dingen am leichtesten fällt, für die man eine Begabung hat und die man liebt. Das macht Sinn, denn sind es höchstwahrscheinlich jene Dinge, denen man die meiste Zeit widmet und die man mit der größten Begeisterung macht. Das ist letztlich auch der wichtigste Punkt. Die Begeisterung. Denn wenn man begeistert ist, dann ist der eigene Geist anwesend. Nicht nur der Verstand, der Körper, die Gefühle. Nein. Etwas Tieferes ist plötzlich präsent und die Pforten der Erkenntnis öffnen sich. Dabei ist es völlig egal, ob es sich bei dieser Begabung um Zeichnen, Putzen, Singen, Tischlern, Dichten, Maurern oder Gärtnern handelt. Es ist egal ob man Arzt, Hausfrau, Sportler, Landwirt oder Mechaniker ist. Das Wichtigste ist die Be-Geist-erung. Uns begeistert das Gehen und die Sprache. Komisch, oder? Aber so ist es halt. Das mag sich in 5 Jahren ändern, aber momentan gehen wir in diesen Dingen auf. Mittlerweile ist es uns eine Freude geworden, in den Worten und Schritten des Menschen die Worte und Schritte des Universums zu lesen. Ob wir damit immer ″richtig″ liegen, sollte jeder für sich selbst entscheiden.

Als somit mein Bedürfnis nach Antworten auf meine zuvor gestellten Fragen immer größer wurde, schaute ich halb bewusst nach vorne und beobachtete Kata, wie sie sich mühsam, zitternd und durchnässt ihren Weg bahnte. Da geschah es plötzlich. Inmitten dieser Lichtung schien mir ein Licht aufzugehen, da mir auf meiner Suche nach Antworten nur ein einziges Wort in den Sinn kam:

VERANTWORTUNG!

Verstehst Du jetzt, wie deutlich das Leben mit uns spricht und wir es nur nicht verstehen wollen?

Ich stand auf einer Lichtung und suchte Antworten, als mir plötzlich ein Licht aufging und ich die Bedeutung der Verantwortung verstandMeine Antwort war Ver-Antwort-ung.

Warum mir das Wort in den Sinn kam, war ganz einfach. Als meine Augen auf Kata und ihren Weg fielen, bemerkte ich die Fußspur, die zu ihren Füßen führte. Es gab nur EINE und das war ihre. Ich drehte mich um und schaute hinter mich, um die Fußspuren zu zählen, die zu meinen Füßen führten. Ich zählte nur EINE und das war MEINE. Wir waren beide in einer Situation, in der wir das Gefühl hatten, nicht sein zu wollen. Nass und kalt, mit einer Aussicht auf eine bitterkalte Nacht und einen gefährlich-rutschigen Abstieg am nächsten Morgen. Zwar hatten wir bei unserem Aufstieg interessante Erfahrungen gemacht, doch von Spaß konnte keine Rede sein. Und auch wenn wir auf einigen dieser Fotos lächeln, so ist es nur das so menschentypische Lügenlächeln, welches man aufsetzt, sobald man sich beobachtet fühlt. Wir wissen doch alle, dass es innen ab und zu ganz anders aussieht. Zu diesem Ort, an dem wir glaubten nicht sein zu wollen, führten also nur unsere eigenen Fußspuren. Das bedeutete, es war einzig und alleine unsere Entscheidung auf diesen Berg zu gehen, weswegen es auch nur zwei Personen gab, bei denen wir uns hätten Beschweren können und das waren wir selbst. Doch wie schwachsinnig das «Sich-Selbst-Beschweren» ist, haben wir durch den Unbeschwerten Schritt bereits gelernt. Deshalb fragte ich mich, was mein scheiß Problem war. Warum beschwerte ich mich schon wieder bei Gott und der Welt, obwohl weder die Fußspuren Gottes, noch die Fußspuren der Welt auf diesen Berg führten. Die Antwort hieß Verantwortung. Im Leben des Menschen scheint irgendwann der Punkt zu kommen an dem man vergisst, dass man selbst der Herr seines Lebens ist. An dem man die Zügel der Verantwortung aus der Hand gibt und jemandem oder etwas anderem die Führung überlässt. An dem man meint Wege gehen zu müssen, die man nicht gehen will, nur weil alle sie gehen. An dem man zu glauben beginnt, dass man keine andere Wahl hat. Mit dem Abgeben der Verantwortung gibt man automatisch auch die Fähigkeit ab, auf das Leben antworten zu können. Verstehst Du? Im Englischen heißt Verantwortung „Responsibility“. Dieses Wort setzt sich aus zwei Begriffen zusammen.

Response = Antwort

Ability = Fähigkeit

Responsibility/ Verantwortung ist demnach die Fähigkeit auf etwas antworten zu können. Sei es nun mit Worten, mit Taten, mit Herzensliedern oder mit einfachem Stillschweigen. Eine Antwort kann mannigfaltig sein, aber immer erlaubt sie es einem mit einer Situation umgehen zu können. Gibt man diese Verantwortung ab, degradiert man sich selbst vom Herren zum Beherrschten. Das ist modere Selbstversklavung auf allerhöchstem Niveau. Da wird der Führende zum Folgenden und aus vielen Folgenden wird das Gefolge und plötzlich gibt es kaum noch einen Menschen, der meint, sein Schicksal selbst bestimmen zu können. All das spitzt sich schließlich so stark zu, dass man es sich sogar herauszunehmen wagt, sich über eine selbst gewählte Bergbesteigung zu beschweren, obwohl die Entscheidung zu diesem Unterfangen einzig in der eigenen Verantwortung lag. Lächerlich! Das Gleiche machen Millionen von Menschen übrigens auch mit ihrem Beruf. Sich über seine Arbeit zu beschweren scheint mittlerweile eine weltweite Hauptbeschäftigung zu sein und das nur, weil wir keine Verantwortung für unser EIGENES Leben übernehmen wollen!
An diesem Punkt gibt es jedoch eine wichtige Tatsache zu verstehen. Jeder Mensch, ausnahmslos, ist immer Herr und Beherrschter zugleich. Zu jedem Zeitpunkt gibt es irgendetwas von dem wir beherrscht werden, auch wenn es nur die Luft ist, die wir atmen. Zeitgleich ist man dennoch Herr vieler Dinge, auch wenn es nur das Sofasitzen und Sesselfurzen ist. Wir alle leben in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis und das kann nicht anders sein. Schlimm wird es erst dann, wenn man beginnt, die Verantwortung für jene Dinge abzugeben, die man eigentlich selbst bestimmen sollte. Die Gestaltung des eigenen Lebens ist so ein Ding. Durch diesen Gedanken wurde mir schlagartig ein großer Irrtum klar. 
Ich dachte an meine Zeit als Arbeitnehmer zurück, in der ich mich so oft extrem beherrscht von anderen gefühlt hatte. Nun realisierte ich jedoch, dass ich diese Situation damals nicht richtig verstand. Schließlich ist es doch folgendermaßen: Die Mitarbeiter einer Firma sind abhängig von ihrem Chef, denn ohne Chef gäbe es keine Firma und keine Arbeit. Der Chef jedoch ist ebenfalls abhängig von seinen Mitarbeitern, denn ohne Mitarbeiter gäbe es seine Firma nicht. Und beide sind abhängig vom Kunden, denn ohne Kunde gäbe es keine Firma und keine Arbeit. Doch auch der Kunde ist anhängig von Chef und Mitarbeitern, schließlich braucht er ein Produkt. Chef, Mitarbeiter und Kunde sind demnach zeitgleich Herren und Sklaven übereinander, wobei sich jeder immer nur in einer der beiden Rollen sieht, weil er die Polarität des Lebens nicht versteht. Keiner der Drei ist höherwertiger, wichtiger oder besser als der andere. In diesem Abhängigkeitsverhältnis alle die gleiche Bedeutung, nur die Form ist eine andere.
Aus diesem Grund ist es dem Leben auch vollkommen egal ob Du führst oder folgst, herrschst oder beherrschst, Arbeit nimmst oder Arbeit gibst. In seiner Essenz ist alles gleich. Der wichtigste Punkt dabei ist, dass wir immer, Immer, IMMER selbst verantwortlich für unsere eigene Situation sind. Wir entscheiden, ob wir uns als Herr oder Sklave unseres Lebens, unseres Chefs oder unserer Mitarbeiter fühlen.


DU entscheidest, ob Du Dich als Herr oder als Sklave DEINES Lebens fühlst!


Da stand ich nun, zitternd, nass, frierend inmitten dieser schneebedeckten Lichtung auf der ich nicht sein wollte und fragte mich mit all diesen wirren Gedanken in meinem Kopf, was ich jetzt auf das Leben und diese Situation antworten könnte, um wieder Verantwortung zu übernehmen, Herr meiner Lage zu werden und mich nicht mehr hilflos den Winden, der Kälte und der Nässe ausgeliefert zu fühlen. Ich blickte wieder auf und folgte der einzelnen Fußspur die zu meinen Füßen führte, als es mir schlagartig klar wurde. Es gibt nur eine einzige richtige Antwort auf des Lebens Lagen. Jene Antwort ist eine der mächtigsten dieser Welt. Durch sie werden Bettler zu Königen, Sklaven zu Herren, Mädchen und Jungen zu Frauen und Männern. Ich schaute nach oben zum Himmel und blickte Frau Hölle, die diese undankbaren kleinen Todessterne, genannt Schneeflocken, heftig in unsere Gesichter blies, direkt in ihre Augen, lächelte und sprach die machtvollen Worte:

„ICH WOLLTE ES SO!“

Damit war es getan. Der Fluch war vorbei. Diese vier Worte befreiten mich von meinem schwachsinnigen Drang mich ständig über alles und jeden zu beschweren, Gott und der Welt die Schuld für meine nassen Hosen, kalten Füße und meine Unzufriedenheit zu geben. Es befreite mich auch von dem verblödeten Bedürfnis anderen Leuten irgendeinen nutzlosen und längst vergangenen Müll nachtragen zu wollen. Diese vier Worte befreiten mich von meinem, bis zum bersten gepackten «Rucksack der Vergangenheit», weil ich erkannte, dass sein Inhalt und die Entscheidung ihn zu tragen ausschließlich in MEINER Verantwortung lag. Plötzlich war ich nicht mehr Sklave meiner Umstände, ich war kein Spielball des Lebens mehr. Ich konnte meinen zitternden Körper und die beißenden Winde fühlen und sagen:

„Ich wollte es so! ICH! Niemand anderes. ICH wollte diesen Berg besteigen. ICH wollte diese dünnen Schuhe tragen. ICH wollte weitergehen, als uns die anderen Wanderer vor der vereisten Spitze warnten. ICH war verantwortlich für meine Lage und bin es schon immer gewesen.”

Ich legte meine Aufmerksamkeit auf all die Dinge, die mich in dieser Situation gerade nervten, irritierten und belasteten und sprach ein aufs andere Mal die magischen Worte: Ich wollte es so! Je öfter ich diese Worte sagte, je leichter schien ich zu werden. Die Kälte, die mich eben noch so sehr belastete, wurde federleicht und legte sich einem Mantel gleich um meine Schultern, anstatt auf ihnen zu lasten und meine Schritte zu beschweren. Jetzt beherrschte sie mich nicht mehr, weil ICH sie wollte. So sehr ich auch fror und so schwer es mir anfangs auch fiel mir einzugestehen, dass ich anscheinend unbedingt frieren wollte, so sehr war es doch die einzige Wahrheit. Das Leben mit seiner bitterkalten Nacht, mit seinen gut sichtbaren dunklen Wolken über dem Berg, mit seinen einzelnen Schneeflächen während unseres Aufstiegs, mit seiner Warnung der uns entgegenkommenden Wanderer hatte uns ausreichend Gelegenheit gegeben, der Kälte zu entkommen, doch wir entschieden uns dazu, trotz alle dem weiterzugehen. Aus irgendeinem Grund wollten wir frieren. Ich finde es erstaunlich, dass es den Aufstieg auf einen vereisten chilenischen Berg und Frau Hölles Ninjasternen in meinem Gesicht bedurfte, um mir diese einfache Wahrheit verständlich zu machen.

Deutlich erleichtert ging ich schnellen Schrittes, um Kata einzuholen. Wir hatten die Lichtung überquert und waren dabei ein kleines Waldstück zu betreten. Ich bat Kata kurz anzuhalten, sich umzudrehen und ihre Fußspur, welche einsam und verlassen quer über die Lichtung lief, zu betrachten. Dann erzählte ich ihr von meinen Gedanken, von der Verantwortung, vom Herrschen und Beherrschtwerden und von den magischen Worten. Mit dem Blick auf ihre Fußspur und zitterndem Körper dachte sie einen Augenblick über das Gesagte nach, lächelte, nahm meine Hand und sagte:
„Was hälst Du davon, wenn wir uns schwören, vom heutigen Tag an die komplette Verantwortung für unsere Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu übernehmen, auf das uns nichts mehr belastet, wir nichts mehr nachtragen, uns nie mehr beschweren und nichts mehr unerträglich scheint.”
Ich hielt es für eine hervorragende Idee und so ward es, dass wir uns hier auf dieser weißen Lichtung an den Händen nahmen und folgenden Schwur ablegten:

 

Beim Blute meines Menschenkörpers
Bei meines Herzens Klang
Beim Funkeln meiner Seelenaugen
Bei meines Lebens Gang.

Schwöre ich in Geistesklarheit
Im Wissen um mein Sein
Zu tragen die Verantwortung
Bis in mein Grab hinein.

Kein Er und Sie und Es soll´s geben
In meinem Klageschrei
Nur ein lautes ICH soll leben
Denn dadurch werd ich frei.

Sollt jemals wieder durch mich fahren
Der Drang mich zu beschweren
So will Ich schreien: „ICH wollt es so!“
Und alle Schuld verzehren.

Damit sei nun vollbracht der Schwur
Die Fesseln sind entzwei
Kein Herr, kein Sklave bin ich mehr
Nur Mensch bin ich und frei.
(Jonathan von Rosenberg)

 

Wir schauten uns in die Augen, küssten uns und gingen weiter. Dieses Mal jedoch in dem vollen Bewusstsein, dass jeder Schritt mehr Nässe und mehr Kälte bedeuten würde und das nur wir die Verantwortung dafür tragen. Nach fünf Minuten kamen wir in dem kleinen Waldstück bereits an das Ende unseres Weges. Der Pfad endete im hüfthohem Schnee, weswegen es Zeit wurde uns unsere Grenzen einzugestehen. Hier wollten wir definitiv nicht mehr weitergehen. Wir drehten um und traten den Rückweg über die Lichtung, durch den schneebedeckten Bambuswald, vorbei an dem kleinen Waldsee hin zu unserer verlassenen Berghütte an.

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Foto: Kataleya von Rosenberg

Von dem einstigen Weg aufwärts war nur noch wenig zu sehen. Alles was übrig geblieben war, war ein vor sich hinrinnender Schlammfluss. Doch wir hatten gelernt stillzuschweigen und unser selbstgewähltes Schicksal zu tragen wie zwei freie Menschen, ohne Klageschreie, ohne Beschwerden, ohne Schuldvorwürfe. Das ließ den einstündigen Abstieg bzw. Abrutsch wie im Fluge vergehen und bevor wir uns versahen, standen wir erschöpft, aber sichtlich erleichtert vor unserem Berghüttchen.

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Foto: Kataleya von Rosenberg

Wir entledigten uns aller nassen Sachen, das heißt, wir entledigten uns ALLER Sachen, hingen sie zum ″Trocknen″ auf (insofern das bei 0°C möglich sein sollte), schlüpften in unser letztes Paar trockene Klamotten und verkrochen uns in unsere Schlafsäcke.

Damit befinden wir uns jetzt genau an jenem Punkt, an dem einst das Kapitel des Unbeschwerten Schrittes begann. Draußen 24 Stunden andauernder sintflutartiger Regen, bittere Kälte und die angebrochene Nacht. Drinnen zwei zitternde, ausgekühlte, erschöpfte Menschen, die sich vor der eisigen Nacht und dem steilen Abstieg fürchteten. Jetzt verstehst Du, lieber Leser, warum ich zu Beginn des Unbeschwertes Schrittes schrieb: „Wir dürfen uns nicht beschweren. Wir hatten es uns geschworen.“

Es ist fast Mitternacht, meine Finger sind mittlerweile viel zu steif zum Schreiben und das Licht meiner Taschenlampe geht zur Neige. Ich lege Stift und Buch jetzt beiseite und werde mich, anstatt Schäfchen zu zählen mit den Worten «ICH wollte es so» in den Schlaf wiegen.

Am nächsten Morgen…

Es ist sechs Uhr morgens. Von Nacht kann keine Rede sein, die Kälte hat jede Faser unseres Körpers durchdrungen und wir haben kaum ein Auge zugetan. Die positive Nachricht ist, wir leben noch. Es wird langsam aber sicher hell, was uns genügend Licht beschert, um endlich aufstehen und packen zu können. Wir waren so intelligent und hatten unsere durchnässten Sachen zum ″Trocknen″ aufgehangen… wir alten Witzbolde. Meine Hose ist jetzt knochenhart. Tiefgefroren könnte man es auch nennen. „Da soll ich nachher rein steigen?“ Ich hasse es jetzt schon, aber ich wollte es schließlich so. Ich schmeiße den Kocher an und erwärme den Rest Milch, den wir noch haben. Heißer Haferbrei mit Zucker geht doch schließlich immer und hilft vielleicht auch unserem Blut, wieder die 30°C Marke zu überschreiten. Wir essen, trinken Kaffee und schauen aus dem Fenster. Es regnet immer noch! Zwar nicht mehr so heftig wie gestern, dennoch ohne Unterlass. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal einen 24 Stunden Regen erlebt hatte.
Wir sind fertig mit essen, räumen das restliche Zeug zusammen und bereiten uns darauf vor mit unseren durchgefrorenen Körpern (der Haferbrei hat nicht gewirkt) in unsere tiefgekühlten Sachen zu steigen und cirka zwei Stunden bergab zu laufen. Wir wollten es so! Ich ziehe mich aus und fahre in mein gestriges T-Shirt. Tatsächlich ist es etwas trockener. Die Rückenpartie ist noch nass und kalt, doch nach zehn Minuten mit dem Rucksack auf dem Rücken werde ich es nicht mehr merken. Jetzt kommt die Hose. Sie ist dick, robust und starr. Vorsichtig das erste Bein, dann das Zweite, hochziehen, zuknöpfen. Fein gemacht Jonathan, oder doch nicht? Ich zittere am ganzen Körper und die Kälte dieser durchfrosteten Hose schneidet sich in meine Waden und Oberschenkel. „Nein, das geht nicht!“, sage ich angepisst. Und es ging wirklich nicht. Es fühlte sich an, als würde der Stoff mir noch das letzte bisschen Wärme aus dem Körper saugen. Kata hingegen ist da anscheinend abgebrühter. Einem Navy SEAL gleich ist sie gerade in ihre Hose gestiegen und hat keinen Mucks gesagt. Ich spüre das Bedürfnis mich herauszureden mit „der Stoff ihrer Hose ist wesentlich dünner und deshalb besser getrocknet“, aber wahrscheinlicher ist es, dass ich einfach nur eine große Mimimi war. Nichts desto trotz, in der Hose halte ich es nicht länger aus. Ich ziehe sie aus und sage, dass ich lieber in meiner Badehose den Berg heruntergehe als in diesem ausgehölten Tiefkühllachs. Gesagt, getan. Badehöschen an, nasse Schuhe an, Rucksäcke auf und schon sind wir bereit für die letzte Etappe unserer ″kleinen″ Wandertour. Wie erwartet ist der Weg eine einzige Schlammpiste. Nur vereinzelte Baumwurzeln und größere Gesteinsbrocken geben uns den notwendigen Halt.

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Foto: Kataleya von Rosenberg | Bearbeitung: https://pkfotografie.com

Mit unseren schweren Rucksäcken gehen wir langsam, behäbig, vorsichtig, aber vor allem bewusst. Alles ist still, nur der Wind pfeift und der Regen plätschert, während wir wie zwei Katzen den Berg hinunterschreiten. Die erwartete Kälte an meinen Beinen scheint aus irgendwelchen Gründen nicht einzutreten. Ganz im Gegenteil. Meine Beine fühlen sich nach einer halben Stunde sogar warm an, trotz des fortbestehenden Regens und Windes. Sogar die Füße haben es geschafft, sich in den nassen Schuhen zu erwärmen. Das Gehen ist sehr angenehm geworden und die feuchte Waldluft wirkt beruhigend und heilend. Wir lächeln und genießen sogar wieder. Im Bergabtanzen und mit der süßen Waldluft in der Nase wird mein Kopf wieder etwas freier, um die Ereignisse der letzten beiden Tage Revue passieren zu lassen. Ohne die bittere Kälte in meinem Körper und mit der Gewissheit auf eine baldige warme Dusche und ein weiches Bett am Abend kann ich viel objektiver und damit dankbarer für die gemachten Erfahrungen und gelernten Lektionen sein. Der erschütternde Anblick der «Geschundenen Seelen», der belastende «Rucksack der Vergangenheit», das sinnlose «Sich-Beschweren», das verblödete Nachtragen und zu guter Letzt das Geheimnis der Verantwortung mit den mächtigsten Worten, die ein Mensch je sagen kann: „ICH wollte es so!“
Ach wie dankbar ich in diesem Moment für die Lektionen bin. Ein wenig wünsche ich mir auch, ich hätte sie schon etwas früher begriffen, denn dann wären einige Erfahrungen der letzten Jahre sicher nicht so schwer gewesen. Doch anscheinend wollte ich es erst jetzt verstehen. Alles zu seiner Zeit, wie der schlaue Volksmund so schön sagt.
Je länger ich über das Gelernte nachdenke, umso größer wird mein Erstaunen über die fast unbegreiflich Macht des kleinen Wortes Verantwortung. Wie konnte mir das nur all die Jahre durch die Lappen gehen? Wie konnte das Milliarden von Menschen durch die Lappen gehen? Oder wussten wir es insgeheim alle, doch wollten es einfach nicht akzeptieren, aus Angst uns noch stärker zu belasten? Sagen wir im Deutschen nicht, dass man die Verantwortung trägt? Wenn man es so ausdrückt, bekommt man das Gefühl, Verantwortung wäre eine Last. Und fühlt man sich so schon be-lastet durch den Alltag seines Lebens, scheut man sich vielleicht vor jeder zusätzlichen Bürde? Besonders dann, wenn es die Bürde der eigenen ″Schuld″ ist. Zum Schutz denkt man, man tue gut daran, diese ″Schuld″ fein säuberlich an die Umgebung zu verteilen, um nicht unter ihr zu zerbrechen. Anstatt nur sich selbst zu be-schweren, be-schweren wir lieber die Frau, die Kinder, den Chef, die Kunden, etc. Du kennst das Spiel. Du spielst es oft genug. Das Problem ist nur, dass sich die Lage dadurch nicht ändert. Wenn man SICH über SEINEN Job beschwert, dann bleibt der Fakt bestehen, dass man nur eine einzige Person be-schwert und das ist man selbst. Wie man es dreht und wendet, schwer wird immer nur das eigene Leben, denn es ist schlichtweg unmöglich, eine innere Last wie die Unzufriedenheit an eine andere Person abzugeben. Innere Lasten trägt man immer selbst. Hier frage ich mich jetzt, ob Verantwortung (also die Fähigkeit antworten zu können) tatsächlich eine Last sein kann? Wie sollte eine Fähigkeit jemals belastend sein? Ist die Fähigkeit Klavier spielen zu können belastend? Ist die Fähigkeit reden zu können belastend? Belastet es Dich, laufen, springen und rennen zu können? Empfindest Du es als eine Bürde sehen, hören, riechen und schmecken zu können? (Wenn die Kochkünste Deiner Frau nicht vollkommen am Boden sind, höchstwahrscheinlich nicht.) Die Wahrheit ist, dass eine Fähigkeit einen Menschen noch nie belastet hat. Wie könnte sie auch? Besitzt sie schließlich kein eigenes Gewicht.
Als Kata und ich gestern auf der Lichtung standen und uns den »Schwur der Verantwortung« gaben, hatten wir nicht das Gefühl uns würde plötzlich eine neue Last auf die Schultern gesetzt werden. Ganz im Gegenteil. Wir fühlten uns leichter, nachdem wir die Verantwortung für unsere Situation übernommen hatten. Die Verantwortung beschwerte uns nicht, sondern sie erleichterte uns. Es fühlte sich nicht an als würden WIR die Verantwortung tragen, sondern als würde die Verantwortung uns tragen.


Nicht Du trägst die Verantwortung. Die Verantwortung trägt Dich!


Erst jetzt wird mir wirklich klar, warum das so sein musste. Wie das Sehen, das Riechen, das Gehen oder das Reden, so ist auch Verantwortung eine Fähigkeit. Und der Erwerb einer neuen Fähigkeit kann immer nur den Erwerb eines Stückes mehr Freiheit bedeuten. Der Sehende genießt mehr Freiheit als der Blinde, der Redende mehr als der Stumme, der Hörende mehr als der Taube, der Gehende mehr als der Gelähmte, der Fliegende mehr als der Gehende und der Verantwortungsbewusste mehr als der Verantwortungsscheuende. Die volle Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen, bedeutet volle Freiheit für sein Leben zu übernehmen. Und dann geschieht plötzlich ein Wunder. Ohne dass wir es beabsichtigen, treten wir aus dem albernen Spiel des Herrschens und Beherrschtwerdens aus, da sich in uns eine Transformation vollzieht. Die Worte «Ich wollte es so» verwandeln uns von einem Gefangenen in einen Freien Mensch!


Die volle Verantwortung für sein Leben zu übernehmen, bedeutet volle Freiheit für sein Leben zu übernehmen.


Der Freie Mensch steht über dem Herren und dem Beherrschten, weil er erkannt hat, dass er zu jeder Zeit immer beides ist. Er ist der Herr seiner selbst und der Sklave seiner selbst.
Der Freie Mensch hat verstanden, dass es unmöglich ist jemals über jemanden zu herrschen oder von jemandem beherrscht zu werden, da er versteht, dass jeder Mensch in Wahrheit ein Freier Mensch ist. Und es ist schlichtweg unmöglich, dass ein Freier Mensch einen anderen Freien Menschen beherrscht, denn dann wären beide keine Freien Menschen mehr. Das wäre so, als würde ein Herr einen Herren beherrschen, ein Sklave einen Sklaven versklaven oder die eine Sonne der anderen Sonne Sonnenbrand geben. Idiotisch und unmöglich. Wir sind alle frei, doch wissen wir es nicht oder wollen es nicht wissen. Jeder von uns hat zu jeder Zeit die Möglichkeit zu kommen und zu gehen, wann er will. Doch ob wir Menschen von dieser Freiheit Gebrauch machen, liegt alleine in unserer Verantwortung.

Ich erinnere mich an die letzten zehn Jahre meines Lebens zurück und wie ich sie damit verbracht habe, mir die schwachsinnigsten Beschwerdeschreie aller möglichen Menschen anzuhören. Ganz an der Spitze natürlich meine eigenen, denn die hörte ich fast jeden Tag. Ich bin von einem Beruf zum anderen gewechselt, von einem Arbeitgeber zum anderen, ja sogar von einem Land ins Andere bin ich gezogen, nur um aus diesem Hamsterrad des Beschwerens und der Unzufriedenheit herauszukommen. Ach… wie auch ich es mit der Zeit gelernt hatte, mich kräftig und ohne an Schimpfworten zu sparen über meinen Arbeitgeber zu beschweren. Dabei kapierte ich die einfachste Sache der Welt nicht. ICH war mein eigener Arbeitgeber! Schließlich war ICH derjenige, der sich die Stelle ausgesucht, die Bewerbung abgeschickt und den Vertrag unterschrieben hatte. ICH hatte mir selbst die Arbeit gegeben! Mein Chef hingegen hat sich entschieden, meine Arbeitskraft anzunehmen. Macht ihn das damit nicht zum eigentlichen Arbeitnehmer? Ein hübsches Wortspiel oder? So schnell sind die Rollen von Herr und Sklave vertauscht. Doch der wichtigste Punkt liegt darin, dass ein Freier Mensch begreift, dass er immer sein eigener Arbeitnehmer, sein eigener Arbeitgeber, sein eigener Herr und sein eigener Sklave ist und dass nur diese Erkenntnis ihn wirklich BEFREIEN kann. Wenn Dein Vorgesetzter zu Dir kommt und dir befielt das Auto zu putzen und Du schaust Dir das verdreckte Stück Blech an (ich rede vom Auto, nicht vom Vorgesetzten) und sagst Dir innerlich Ja ich will das Auto putzen, dann machst Du es doch freiwillig. Frei-Willig. Das bedeutet, aus Deinem freien Willen heraus. Plötzlich hat Dein Vorgesetzter all seine Macht über Dich verloren, weil er Dir nichts mehr befehlen kann. Schließlich ist es doch kein Befehl mehr, wenn DU es machst, weil DU es willst. Plötzlich wirst Du (der Befehlsempfänger) zum Vorgesetzten. Zu Deinem EIGENEN Vorgesetzten. Jetzt bist Du FREI. Das geht jedoch nur, wenn Du die komplette Verantwortung für ALLE Deine Handlungen übernimmst. Doch davor scheuen sich die meisten. Stattdessen glauben wir lieber an eine der größten Lügen der Welt. Eine Lüge, die bis an die hintersten Ecken unserer Erde vorgedrungen ist.

Die Lüge, dass wir keine andere Wahl haben.

Wir haben immer eine Wahl! Als Kata und ich vorgestern am Fuße dieses Berges standen, hatten wir die Wahl umzukehren, doch wir gingen weiter. Als uns auf halben Wege die Beine zitterten, hatten wir wieder die Wahl umzukehren, doch wir gingen weiter. Als wir uns bei strömenden Regen von der Berghütte in Richtung Gipfel aufmachten, hatten wir erneut die Möglichkeit kehrt zu machen, doch wir gingen weiter. Als es bei der Gipfelbesteigung zu schneien begann, hatten wir abermals die Wahl den Rückweg anzutreten, doch wir gingen weiter. Und als uns fünf durchnässte, zitternde Wanderer entgegenkamen und uns von der völlig vereisten Spitze und den verschneiten Wegen erzählten, hatten wir zum letzten Mal die Chance umzukehren, doch wir gingen weiter. Jeder einzelne Schritt, bis hin zur letzten Fußspur auf dieser schneeweißen Lichtung, war eine Chance umzukehren, doch wir gingen weiter. Diese verlassene Fußspur mitten im Nichts war der Beweis dessen, dass ALLES Geschehene in unserer eigenen Verantwortung lag und jeder einzelne Schritt war ein:

Ich wollte es so!

Wir haben jetzt die Hälfte unseres Abstiegs bereits geschafft und obwohl meine Oberschenkel brennen, genieße ich das von Wurzel zu Stein zu Wurzel springen. Doch plötzlich bekomme ich ein seltsames Gefühl. Ein Gefühl der Schwere und Dunkelheit. Es ist weder der Rucksack, noch das Wetter, noch mein Kreislauf. Ich fühle mich gut. Da ich jedoch gerne mal den Hyperchonder spiele, beunruhigt mich dieses Gefühl etwas. Was ist es nur? Ich weiß es! Das ist die Stelle! Genau hier geschah es. Zwar erkenne ich nichts von der Umgebung wieder, aber ich kann es fühlen. Vor genau drei Tagen begegneten mir exakt an diesem Ort die «Geschundenen Seelen». Ich erinnere mich an all die Beschwerdeschreie zurück und wundere mich nicht mehr, dass es mir plötzlich schwer ums Herz wurde. Ach was würde ich nur geben, um noch einmal vor diesen traurigen Gesichtern mit ihren tränenerfüllten, blutunterlaufenen, leeren Augen und geschundenen Körpern stehen zu können.
Wie gerne würde ich zu ihnen sprechen, aus Liebe, damit ich wieder Sternenschnuppen in ihren Augen funkeln sehe. Damit ich sie wieder musizieren, lachen und singen höre. Damit ich das Bewusstsein um ihre eigene Stärke und Freiheit wieder in sie zurückkehren spüre.
Wie gerne würde ich mit ihnen unsere gelernten Lektionen teilen. Ihnen vom «Rucksack der Vergangenheit», dem «Sich-Beschweren» und dem «Nachtragen» erzählen.
Wie gerne würde ich ihnen von der Fußspur auf der Lichtung und dem «Schwur der Verantwortung» berichten.
Wie gerne würde ich ihnen das Geheimnis des Freien Menschen und dessen magische Worte verraten.
Und wie gerne würde ich, aus reiner Liebe, die größte Lüge der Welt aus ihnen und mir herausprügeln wollen. Die Lüge, dass wir keine andere Wahl haben.
Doch sie sind nicht hier. Die Einzigen die hier sind, sind Kata und ich. Deswegen will ich jetzt, bevor wir diesen Berg endgültig verlassen, auf einen kleinen Baumstamm steigen und zu meinem wichtigsten Zuhörer, einzigen Herren und einzigen Sklaven sprechen, den ich jemals hatte und jemals haben werde. Zu mir selbst! Und ich will als Freier Mensch sprechen.


Jonathan wach auf! Du bist ein Freier Mensch! In den Momenten, in denen Du Dich versklavt fühltest, da versklavtest Du Dich selbst. In den Momenten, in denen Du Dich beherrscht fühltest, da beherrschtest Du Dich selbst. In den Momenten, in denen Du Dich belastet fühltest, da belastetest Du Dich selbst. In den Momenten, in denen Du Dich beschwertest, da beschwertest Du Dich selbst. In den Momenten, in denen Du jemandem etwas nachtrugst, da trugst Du die Last selbst.
Du bist Tragender und Nachtragender, Beschwerter und Beschwerender, Belasteter und Belastender zugleich.
Du bist es, der die Vergangenheit schuf, die ihn dann schaffte. Der den Rucksack packte, durch den er versackte. Und der den Berg erwählte, welcher ihn bald quälte.

Du bist Schaffender und Geschaffter, Packender und Versackender, Wählender und Quälender zugleich.

Jonathan wach auf! Du bist ein Freier Mensch! An den Tagen, an denen Du Dich auf Arbeit geschliffen fühltest, da schliffst Du Dich selbst. An den Tagen, an denen Du Dich gepeinigt fühltest, da peinigtest Du Dich selbst. An den Tagen, an denen Du Dich verlassen fühltest, da verließest Du Dich selbst.
Du bist Schleifer und Geschliffener, Gepeinigter und Peiniger, Verlassener und Verlassender zugleich.

Jonathan wach auf! Du bist ein Freier Mensch und Du bist ein Feigling. Anstatt alle Schuld Dir zu erteilen, verteiltest Du die Schuld an alle. Schwer fiel es Dir zu begreifen, dass nur derjenige Schuld verteilen kann, der sie auch hat, denn schon immer waren die größten Schuldenträger auch die größten Schuldenverteiler. Fleißig zeigtest Du mit Deinen Fingern auf andere und anderes, vor allen Türen kehrtest Du, außer vor der eigenen.

Jonathan wach auf! Du bist ein Freier Mensch und Du bist ein Lügner. »Keine-Zeit-Habender« tauftest Du Dich einst. «Vom-Leben-Gestresster» nanntest Du Dich einst. Dabei warst nur DU der Räuber Deiner Lebensstunden und der Foltergeist Deines Alltags. Schwer fiel es Dir zu begreifen, dass Zeit ist wie Luft. Immer und überall für jedermann in gleicher Menge verfügbar. Keine Zeit zu haben ist unmöglich. Wie Luft drängt sich Zeit Dir förmlich auf. In jeder Sekunde. Selbst bis in den Schlaf und durch die Nacht verfolgt sie Dich. Wie die Luft für Deinen Körper, so ist die Zeit das höchste Gut für Deine Seele, denn Zeit ist der Raum, indem das Wunder Deines Lebens geschieht. Doch wie Du diesen Raum füllst, ist Deine Entscheidung, denn ALLES liegt in Deiner Verantwortung.


Zeit ist der Raum, indem das Wunder Deines Lebens geschieht.


(Sehr gerne darfst Du Deinen eigenen Namen in diese Rede einsetzen und sie noch einmal lesen, um zu schauen, ob sie Dich genauso hart trifft, wie sie Kata und mich traf.)

Ich steige von meinem Baumstämmchen herab und wir gehen langsam weiter. Nur noch eine Stunde Fußmarsch und dann haben wir es geschafft. So schwer es mir auch fällt es zuzugeben, aber ich glaube ich hatte recht. Ich war ein Feigling und ein Lügner. Feige war ich, weil ich mich scheute, die Verantwortung für ALLES in meinem Leben zu übernehmen, meine eigenen bewussten Entscheidungen zu treffen und einzusehen, dass jede einzelne Entscheidung meines Lebens IMMER meine eigene war. Ein Lügner war ich, weil ich unzählige Male die verblödete Lüge „Ich habe keine Zeit“ genutzt hatte, nur um der Wahrheit nicht ins Auge sehen zu müssen.
In diesem Zusammenhang mussten wir uns auch fragen, warum wir erst einen chilenischen Berg besteigen mussten, um diese Wahrheit zu begreifen. Schließlich wussten wir schon lange vorher, dass der Mensch Verantwortung für sein Leben übernehmen muss. Wir alle wissen das. Auch Du! Jeder von uns kennt die Weisheiten, dass man vor seiner eigenen Haustüre kehren soll und das man erntet was man sät. Diese Weisheiten beinhalten die Verantwortung als Essenz. Deshalb bleibt die Frage, warum wir es nicht tun? Warum spielen wir lieber die Opfer unseres Lebens, anstatt die Täter, die Tuenden, die Tüchtigen zu spielen? Die Antwort ist ganz einfach. Ich muss nur in mich selbst hineinhören, um sie zu finden. Sie lautet: ANGST! Wir alle haben Angst unsere eigenen Schritte zu gehen, weil wir Angst vor dem Risiko, vor den Fehltritten, vor den Enttäuschungen haben. Denn wer seine eigenen Schritte geht, der ist verantwortlich für alles Gute, aber auch alles Schlechte, was passiert. Verantwortung ist keine Einbahnstraße, auch wenn viele es gerne so hätten. Erzielt ein Unternehmen Rekordumsätze schreien alle ganz laut WIR und halten die Taschen für Sonderprämien auf. Geht die Firma jedoch pleite, dann war es immer die Schuld des unfähigen Chefs und keiner mag in seine eigene Tasche greifen.

Deshalb tat ich Recht mich als Feigling zu bezeichnen. Ich scheute mich vor dem Risiko meiner eigenen Schritte, weil ich die Schuld der Fehltritte und Enttäuschungen nicht tragen wollte. Damit verweigerte ich mir jedoch auch die Fortschritte und Entzückungen, die die eigenen Schritte mit sich bringen. Ein Mensch, der seine eigenen Schritte nicht gehen will, muss getragen werden wie ein kleines Kind. So kann man sich nicht weh tun, nicht stolpern und nicht hinfallen. Das ist sicher, das ist bequem, aber das ist auch der eigene Tod. Ein ganz langsamer innerlicher Tod, weil man niemals den eigenen Weg geht, wenn man sich von jemand anderem tragen lässt, da die Wege eines jeden Menschen vollkommen verschieden sind. Wir reden uns zwar alle ein, wir wären Männer und Frauen, doch in Wahrheit sind wir immer noch Jungen und Mädchen die getragen werden wollen, anstatt auf eigenen Beinen zu stehen. Wir geben unsere Verantwortung ab, aus Angst die Schuld tragen zu müssen und bemerken dabei nicht, dass wir mit der Verantwortung auch all unsere Macht abgeben. Verantwortung und Macht gehen immer Hand in Hand. Sobald Du die Verantwortung für Dein Leben an jemanden anderen abgibst, gibst Du auch die Macht über Dein Leben an diese Person ab.


Wer die Verantwortung für DEIN Leben hat, hat auch die Macht über DEIN Leben.


Jetzt begreife ich auch, warum die «Geschundenen Seelen» auf die Frage, was sich in ihrem Rucksack befindet, immer mit Ich weiß es nicht geantwortet hatten. Als sie die Verantwortung für ihr Leben an andere Menschen abgaben, übergaben sie diesem Menschen auch die Macht über ihren «Rucksack der Vergangenheit». Damit ließen sie es zu, dass jeder X-Beliebige etwas in ihren Rucksack schmeißen konnte, egal wie unnütz und belastend es war. Wenn Du Deinem Mann, Ex-Mann oder Chef die Schuld an Deinem unerträglichen Leben gibst, dann gibst Du ihm auch die Macht über Dein Leben und nur er wäre demnach in der Lage es zu ändern. Ob er es jedoch tut, liegt meist nicht in Deiner Hand, denn jeder von uns hat seinen eigenen Freien Willen. Das nennt man Abhängigkeit. Und Abhängigkeit ist für einen MENSCHEN einer der schlimmsten Zustände überhaupt. Gibst Du jedoch Dir ALLE Schuld für das Geschehene und übernimmst ALLE Verantwortung, dann gibst Du Dir auch die Macht zurück, etwas daran zu ändern. Jetzt bist Du nicht mehr abhängig. Jetzt bist Du frei! Ob Du jedoch mutig genug bist, diese Freiheit auch zu nutzen, dass liegt abermals in Deiner Hand.

Ach wie gerne würde ich allen «Geschundenen Seelen» jetzt von den magischen Worten eines Freien Menschen erzählen, die da lauten «ICH wollte es so» und mit denen er sich von allem Belastenden in seinem Rucksack befreien kann, wenn er es so will. Doch sie sind nicht hier. Deswegen bleibt mir nichts anderes übrig, als darüber zu schreiben und zu beten das sie es lesen.

Ein Freier Mensch scheut sich nicht davor, in seinen Rucksack zu schauen, weil er weiß, dass er die komplette Macht über ihn besitzt. Er schaut sich seinen Inhalt an, lernt alles, was er von diesen Dingen lernen kann und spricht dann die Worte «ICH wollte es so», um Verantwortung zu übernehmen und sich des Inhalts zu erleichtern. Diese Worte spricht er jedoch nicht halbherzig, wie irgendeinen auswendig gelernten Zauberspruch, in der Hoffnung es würde ein Wunder geschehen. NEIN! Ein Freier Mann und eine Freie Frau sprechen diese Worte aus dem tiefsten Verständnis heraus, dass sie all diese Dinge TATSÄCHLICH so wollten, ohne Wenn und Aber! Nur sie alleine tragen die Schuld für IHRE Situation und sie übernehmen die Verantwortung dafür. Die magischen Worte geben ihnen die Macht über ihre Vergangenheit zurück und sie schmeißen alles aus dem Rucksack, was sie nicht mitschleppen wollen.
Verglichen mit dem verantwortungsbewussten Handeln eines Freien Menschen sind wir alle wahrlich noch Kinder und wir alle sind ganz sicher Feiglinge.

Noch härter jedoch, als die Erkenntnis ein Feigling zu sein, traf mich die Erkenntnis ein Lügner zu sein. Wie oft hatte ich schon eine der größten Lügen der Welt benutzt?!?

Die Lüge: Ich habe keine Zeit.

Wie müde ich bin, diese schwachsinnige Aussage aus meinem oder dem Munde anderer zu hören. Es muss ein teuflisches Genie gewesen sein, welchem es einst einfiel, das Ungetüm „Zeit“ zu erfinden, welchem man die Schuld an all seiner Unfähigkeit sein eigenes Leben zu gestalten, geben konnte. Dieses Ungetüm ist so riesig, dass es überall auf der Welt existiert, doch paradoxerweise auch so winzig, dass für niemanden jemals genug davon da ist. Auch ich glaubte das so lange, bis ich mir auf diesem kleinen Baumstamm als Freier Mensch darüber Gedanken machte und zu mir sprach:

„Die Zeit ist wie Luft. Sie ist überall für jedermann in gleicher Menge verfügbar. […] Sie ist der Raum, in dem das Wunder Deines Lebens geschieht.“

Besser hätte ich es mir nicht erklären können. Im Deutschen sagt man, dass man sich „Zeit NEHMEN muss“, doch das ist eine Lüge. Zeit ist kein Stück Klopapier, welches man sich nehmen muss, um sich den Arsch abzuwischen. Richtiger noch wäre es zu sagen, dass man sich „Zeit GEBEN muss“… wie ein Geschenk.
Doch mittlerweile glaube ich, dass auch das nicht korrekt ist. Zeit ist der Raum, in dem das Wunder deines Lebens geschieht. Das heißt, das Einzige, was man sich geben kann, ist Raum. Und genau den gibt sich ein Freier Mensch. Er gibt sich Raum, den er mit Dingen füllen kann, die er liebt und er weiß, dass nur er dafür verantwortlich ist, mit was dieser Raum gefüllt ist. Dieser Raum des Freien Menschen nennt sich FREIRAUM. Der Freie Mensch gestaltet sein Leben so, dass er genügend Freiraum hat, um das zu tun, was seine Seele tanzen lässt. Sei es nun Bier saufen oder Boote bauen. Idealerweise ist sein gesamtes Leben Freiraum, weil er alles liebt, was sich in ihm befindet. Für jene Dinge jedoch, die ihn nicht begeistern, welche sich jedoch immer noch in seinem Raum „Zeit“ befinden, übernimmt er die volle Verantwortung, weil er weiß, dass er es so wollte. Damit gibt er sich die gesamte Macht über jene Dinge und kann beginnen sie zu ändern. Bis dahin beschwert er sich niemals über sie, weil er weiß, dass er dadurch nur sich selbst beschwert. Er macht diese Dinge mit tiefst möglicher Hingabe, weil er weiß, dass sie ein Teil von ihm und seinem Leben sind, welchen er nicht in Unzufriedenheit verschwendet sehen will. Er weiß, dass auch in diesen Dingen des Lebens Wahrheiten gewebt sind, die ihn lehren und weise machen. Diese Geisteshaltung gibt ihm Ruhe und Frieden, mit dessen Hilfe sich der Raum „Zeit“, der sich einst wie ein Gefängnis anfühlte, langsam aber sicher in einen Freiraum verwandelt.
Ach wie leicht es doch ist eine Wahrheit zu wissen und sie nieder zu schreiben und wie schwer es doch scheint eine Wahrheit zu leben. Meine liebe Mutti pflegt mir immer zu sagen: „Das Leben ist schön, von leicht war keine Rede.“ Und irgendwann hörte ich einmal einen Esel sagen, dass es die schweren Dinge seien, die uns leichter machen. Deswegen möchte ich mich jetzt daranmachen, die schweren Lektionen des Lebens zu stemmen, auf das ich leichter werden möge.


Mein Wort das ist mein Seelendrang
Doch Seelentat noch nicht.
Es strömt empor und füllt das Blatt
Die Hand jedoch führt´s nicht.

Denn nutzlos ist des Mundes Klang
Und unnütz sein Gedicht
Wenn Wort sich nicht in Taten zeigt
Und durch mein Handeln spricht.
(Jonathan von Rosenberg)


Um dies umzusetzen, möchte ich damit beginnen, die Lüge der Zeit zu lüften. Ich möchte jenes Ungetüm, welches sich überall befindet, von dem es aber nie genug zu geben scheint, aus meinem Leben vertreiben. Bekanntlich vertreibt man Lügen und Ungetüme am besten mit der Wahrheit und die ist, dass ich immer und überall ausreichend Zeit hatte, da sie der Raum ist, in dem ich lebe. Das bedeutet, wenn ich Dir jemals gesagt haben sollte, ich hätte keine Zeit, dann hatte ich gelogen. Die Wahrheit ist: „Mir war etwas anderes wichtiger, als mich mit Dir zu treffen.“ Das klingt vielleicht hart, aber es ist die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Doch ich denke, dass wir Menschen sehr schlecht darin sind, mit der Wahrheit umzugehen, weil sie oftmals schmerzt. Deshalb beginnen wir einander im gegenseitigen Einverständnis anzulügen. Diese Lüge ist wie eine Schmerztablette. Sie mindert den Schmerz, kuriert jedoch die Krankheit nicht. Und irgendwann ist man abhängig vom Medikament „Lüge“, hat es als Teil seines Lebens akzeptiert und kann nicht mehr ohne.
Nachdem wir das jedoch gerade erkannt haben, können wir nicht mehr MIT dem Medikament leben. Wir fühlen lieber den Schmerz, als das wir uns gegenüber der Wahrheit taub machen. Aus diesem Grund ist es uns ab dem heutigen Tag verboten, einem Menschen die Worte Ich habe keine Zeit als süßes Gift ins Ohr zu säuseln, weil wir damit verlogener Weise alle Verantwortung für unser eigenes Leben an die Zeit abzugeben versuchen. Denn jedes Mal, wenn wir zu einem Menschen sagen, wir hätten keine Zeit, geben wir der Zeit die Schuld für unsere Unzulänglichkeit. Die Zeit ist verantwortlich, weil von ihr zu wenig da ist. Wie lächerlich! Und die andere Person tut natürlich dasselbe. Um den Schmerz der Wahrheit nicht spüren zu müssen, dass der Freund oder Vater Wichtigeres zu tun hat, als Zeit mit einem zu verbringen, gibt auch sie der Zeit die Schuld und sagt sich: „Er würde gerne Zeit mit mir verbringen, doch leider gibt es nicht genug von ihr.“ Ein wahrlich erbärmliches Lügenspielchen, welches wir uns täglich so glaubhaft vortragen. Doch für uns sei damit jetzt Schluss. Diese Pille wandert nicht mehr unseren Hals hinunter. Wir sind die Herren unseres Raumes und wenn wir keine Zeit für Dich haben, dann wollen wir sie nicht haben. Das ist die Wahrheit und nur durch diese ermöglichen wir uns nun endlich Heilung, indem wir durch den verursachten Schmerz erkennen mögen, dass wir die Prioritäten unseres Lebens oft falsch gesetzt hatten. Hat man nämlich zum fünften Mal seinem kleinen Sohn ins Gesicht gesagt, dass man nicht mit ihm spielen WILL, weil man Wichtigeres zu tun hätte, dann würde einem selbst (und dem kleinen Knirps) ganz schnell klar werden, worauf man seine Prioritäten im Leben setzt und das Fußballschauen und Biertrinken mit Freunden fünfmal wichtiger war, als mit ihm zu spielen. Doch der Mensch ist schlau und verschiebt die Schuld einfach auf das Ungetüm Zeit. So muss der Vater seinem Sohn nicht die schmerzvolle Wahrheit des eigenen Desinteresses gestehen und der Sohn lernt ganz schnell, dass Zeit das böse Monster ist, was den armen Vati von ihm fernhält. Dieses Beispiel zählt für jede nur vorstellbare Beziehung in unserem Leben. Mann – Frau. Mutter – Tochter. Vater – Sohn. Opa – Enkel. Freund – Freund. Mensch – Hobby. Mensch – Arbeit (ja es gibt auch Menschen, die meinen, sie hätten einfach keine Zeit zum Arbeiten). Man darf nicht denken, dass irgendetwas falsch daran wäre, einem Menschen oder Hobby zu sagen, man hätte Wichtigeres zu tun. Man ist ein Freier Mensch und es gibt Dinge, die nun mal getan werden müssen. Der Vater kann nicht immer mit dem Kind spielen und der Enkel nicht immer die Oma besuchen, weil auch andere Dinge zum Leben gehören und ab und zu wichtiger sind. Das ist vollkommen normal. Der springende Punkt ist nur, dass man dazu steht. Das man die volle Verantwortung dafür übernimmt und nicht irgendeine dumme Ausrede bzw. Lüge benutzt. Erst dann ist man ein Freier Mensch.  Und sollte sich die andere Person deshalb gekränkt fühlen, dann ist das ihr Problem und ihr gutes Recht. Auch sie ist frei.


Der Raum der Zeit
Gefüllt mit Leid
Sei Deine Schuld
Auf Ewigkeit.

Denn lag´s in Deinem eigenen Wille
Zu füllen dieses Raumes Stille
Mit Dingen die Dir widerstrebten
Die Körper, Geist und Herz entlebten.

Doch bleib gewahr, verzage nicht
Denn Hilfe naht indem Du sprichst:
„Ich wars wohl, der den Raum befüllte
Der Wut und Zorn und Leid enthüllte.“

„Deswegen kann nur ich es sein
Der die Macht hat zu befreien.
Der seinen Raum des Ballast´s leert
Der selbst bestimmt was er erfährt.“
(Jonathan von Rosenberg)


Jetzt wird mir klar, dass ich viele Jahre lang meinen Zeitraum „Leben“ mit Dingen gefüllt habe, die mich innerlich nur entleerten, aus Angst die Verantwortung zu übernehmen. Doch noch schwerer als diese Tatsache wiegt die Erkenntnis auf mir, dass ich es manchmal auch aus purer Faulheit tat. Es brauchte ewig, bis ich begriff, dass ich einen Grundschritt für mein Leben definieren muss, um mich von einem Stehenden in einen Gehenden zu verwandeln. Genau das tun die meisten von uns ihr ganzes Leben lang nicht. Sie wissen nicht WAS sie wollen oder WOHIN sie wollen. Sie haben nicht den blassesten Schimmer, mit was sie ihren Zeitraum „Leben” füllen würden, gäbe es da nicht den Chef, den Fußball, die Familie und den Schlaf. Diese Dinge bestimmen wann und wo sie etwas machen, weil sie keine Ahnung haben, was sie sonst machen sollten.

Wir haben es uns zur Gewohnheit gemacht, die Menschen um uns herum zu fragen, was sie mit ihrer Zeit machen würden, wenn sie genügend Geld und keinerlei Verpflichtungen hätten. Die Antwort lautete nie: „Ich würde arbeiten gehen, Fußball schauen, Zeit mit der Familie verbringen und schlafen.“
Weißt Du wie die Antwort meist lautete?

Sie lautete: ????????????????????????????????????????????????????????????????

Genau! Die meisten schweigen still und setzen ein fragendes Gesicht auf. Sie hatten einfach keine Ahnung. Nach einiger Zeit sagten sie dann halb scherzend, sie würden erstmal eine lange Zeit verreisen oder sich eine Insel kaufen und hinziehen. Es waren aus der Not geborene Antworten eines halben Herzens. Abgesehen von der traurigen Tatsache, dass die wenigsten jene Dinge tun würden, mit denen sie bisher ihr gesamtes Leben füllten, bemerkten sie nicht, dass sie sich Zeit ihres Lebens belogen. Ständig beschwerten sie sich, sie hätten nicht genügend Zeit, doch wenn es darauf ankäme, würden sie nicht wissen, was sie mit all der Zeit anfangen würden. Ich denke, die meisten von uns sind insgeheim froh, dass es die ″verhasste″ Arbeit gibt, die den Großteil des Zeitraums „Leben“ füllt, weil sie zu faul und zu feige wären, sich eigene Gedanken zu machen und eigene Risiken einzugehen. Das ganze Beschweren ist nur eine verblödete Maskerade, um sich selbst und anderen nicht eingestehen zu müssen, dass man in Wahrheit zufrieden damit ist, dass andere über das eigene Leben bestimmen. Und das wäre ja nicht einmal schlimm, wenn man wenigstens dazu stehen würde und sich nicht im gleichen Atemzug darüber beschweren und selbst bemitleiden täte. Doch sind wir doch mal ehrlich. Das ganze Beschweren, das Wehklagen und Meckern bringt wenigstens einen Teil jener Lebensspannung zurück, welche man in seiner Jugend zum letzten Mal fühlte und die man sonst nur noch aus den hirnamputierten Talkshows und Daily Soaps kennt, mit dessen Hilfe man sich täglich verstrahlt.

Wahrlich war das die schmerzvollste Erkenntnis. Viele Entscheidungen in unserem Leben treffen wir nicht nur aus Angst, sondern auch aus Faulheit, aus Bequemlichkeit und aus Trägheit. Doch wo Trägheit hinführt, dass wissen wir alle. Sie führt zur ultimativen Trägheit. Zum Tod.

Mit diesen äußerst aufheiternden Worten möchte ich diesen Beitrag nun beenden. Wir sind am Fuße des Berges angekommen und verspüren beide das Bedürfnis unseren hart erarbeiteten «Freiraum» mit etwas anderem als dem Wandern und Klugreden zu füllen. Wir wollen duschen, essen und schlafen. Es sind eben doch die einfachen Dinge, welche man erst dann zu schätzen weiß, wenn man sie nicht mehr hat. Was für uns im Gedächtnis zurückbleibt, ist die Erinnerungsspur an drei sehr schwere Tage. Diese waren nicht schön, nicht bequem, nicht angenehm und mit Sicherheit nicht sicher. Aber sie waren lehrreich und dafür sind wir dankbar.
Dementsprechend mussten auch die beiden Beiträge dieser Tage werden. Sie zu schreiben ist mir bis jetzt am schwersten gefallen.

Die wildesten Verrenkungen habe ich gemacht, um Dir und mir die Sinnlosigkeit des «Sich-Belastens», des «Sich-Beschwerens» und des «Nachtragens» sowie die Bedeutung der Verantwortung und des Satzes «Ich wollte es so» begreifbar zu machen.

Unzählige Kopfstände habe ich gemacht, auf dass Deine und meine Welt kopfstehen möge und wir sie aus einem neuen Blickwinkel betrachten können.

Zahlreiche Ecken und Kanten habe ich in diese Beiträge eingebaut, auf dass jeder von uns wenigsten einmal die Möglichkeit bekommt ordentlich anzuecken. Denn nur wenn es schmerzt, begibt man sich auch auf die Suche nach dem heilenden Balsam.

Mit großen Brocken habe ich versucht unseren Weg zu verbauen, auf dass wir sie besteigen mussten, um auf unserem Weg zu bleiben. Denn nur wer die Brocken des Lebens besteigt, kann sie auch überwinden.

Mit geballten Fäusten habe ich großzügige Hiebe verteilt, auf dass wir niedergeschlagen seien. Denn nur wer am Boden zerstört ist, hat die Chance sich wieder neu zu errichten.

Mit schweren Gewichten habe ich unsere Herzen belastet, auf dass ihre Last unsere wahre Stärke wecke und wir leichter schreiten können. Denn es sind die schweren Dinge, die uns leichter machen.

Mit kühlem Herz habe ich all unsere Sandburgen zerstört, auf dass unsere Träume nicht im Sand verlaufen mögen.

Zahllose Arschtritte habe ich an uns verteilt, auf dass wir wieder den Schwung des Lebens spüren und von Stehenden zu Gehenden werden.

Den Grund und Boden habe ich uns unter den Füßen weggezogen, auf dass wir nun gezwungen sind, unseren eigenen Grund zu finden, auf dem wir gehen können.

Das Ungetüm „Zeit“ versuchte ich zu zerstören, auf dass es nicht uns zerstöre. Denn der Narr, der glaubt es läge am Mangel der Zeit, weswegen er seinen Lebensweg nicht geht, glaubt auch, es läge am Mangel der Luft, warum er den Marathon nicht läuft. Doch Luft und Zeit sind stets zur Genüge vorhanden, weswegen nur stete Arbeit, ein unbeugsamer Wille, Geduld und der Mut zum Risiko den Unterschied machen.

Mit all den Fragen, die ich Dir und mir gestellt habe, versuchte ich stets das Feuer der Großen Suche, des «Großen WARUM» in Dir zu entfachen. Denn nur wer Fragen stellt, kann auch Antworten finden.

Mit all diesen bewussten Hieben, Tritten, Ecken, Kanten, Brocken und Fragen habe ich versucht, das Bewusstsein um unsere Verantwortung in uns zu wecken. Sprich, unser Verantwortungsbewusstsein.
Ob mir all das gelungen ist, wird sich nur an einem messen lassen. An unseren Handlungen. Sie sind gelebtes Wort.


Handlungen sind gelebtes Wort.


Egal welchen Alters wir sind, immer ist unsere Seele schwanger, bereit in uns den Freien Menschen zu gebären. Dieser Freie Mensch ist sich seiner kompletten Verantwortung bewusst und geht den Verantwortungsbewussten Schritt. Er wehklagt und beschwert sich nicht, er trägt nicht nach und belastet sich nicht und kann deshalb alles ertragen. Er ist der Herr über seinen «Rucksack der Vergangenheit», Herr über seinen «Freiraum» und Herr über seinen Lebensweg. Er geht seine Schritte und lebt sein Leben, weil er es so will. Diese Worte beruhigen seine Nächte und beflügeln seinen Morgen. Er sieht sich selbst als Freien Menschen und sieht deshalb auch jeden anderen als Freien Menschen. Er versteht und fühlt den Schmerz derer, die das noch nicht erkannt haben, doch hat er weder Mitleid mit ihnen, noch duldet er ihre Ausreden. Was er stattdessen immer hat und immer duldet, ist eine gute Dosis Wahrheit. 

Das ist meine Vision des Freien Menschen! Und alles stand in einer einzelnen Fußspur geschrieben.

Wahrlich müssen wir diesen Beitrag noch viele Male lesen, um das Geschriebene selbst verwirklichen zu können. Wie gut wir es verstanden haben, werden unsere Taten zeigen und jeder Mensch, ob nah oder fern, darf unser Richter sein. In der Zwischenzeit jedoch, sollte jeder Mensch am besten sein eigener Richter sein.

In Deutschland ist es gerade Winter und solltest Du das Glück haben, dass Frau Holle sich gnädig zeigt und es schneien lässt, dann zögere nicht… zieh Dir warme Sachen an und trau Dich hinaus in den Park, auf eine Wiese, in Deinen Garten oder auf eine einsame Straße und geh entspannten Schrittes ein paar Minuten gerade aus. Dann bleib stehen, dreh Dich um und schau auf die Fußspur, die zu Deinen Füßen führt. Stell Dir vor, wie diese Spur weit zurückführt, in längst vergangene Zeiten. Wie Sie das winzige Ende Deines bisherigen Lebensweges ist, dessen Anfang der Moment Deiner Geburt war. Schau Dir diese einsame Spur ganz genau an, verfolge sie Jahre und Jahrzehnte zurück und frage Dich…

Wessen Fußspur ist das?
Wer hat jeden einzelnen Schritt gemacht?
Wer hat die Richtung dieser Fußspur bestimmt?
Wer hat ihre Kurven, ihre Fehltritte, ihre Umwege, ihre Höhen und ihre Tiefen bestimmt?
Wer ist verantwortlich für diese Fußspur?
Wer wollte diese Fußspur genau so, wie sie ist?

Ich denke Du weißt jetzt, was die einzig wahre Antwort auf diese Fragen sein kann. Und wenn Du die Stärke hattest, diese Antwort auch zu geben, dann frage Dich weiter…

Will ich mutig genug sein, um meinen eigenen Lebensweg zu gehen?
Will ich bunt und verrückt genug sein, um wieder Farbe in mein Leben zu bringen?
Will ich stark genug sein, um mir selbst und anderen vergeben zu können?
Will ich groß genug sein, um niemals wieder etwas nach-tragen zu wollen?
Will ich schlau genug sein, um mich niemals wieder zu be-schweren oder mich unnötig mit meiner Vergangenheit zu be-lasten?
Will ich ab dem heutigen Tag alles wollen, was sich in meinem Zeitraum „Leben“ befindet, ohne in verblödetes Wehklagen zu verfallen?

und am wichtigsten…

Will ich ein Freier Mensch sein?